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Im Angesicht der Sphinx

Subjekt und System in Adornos Musikästhetik

Les "blancs" en effet, assument l'importance

      Mallarmé, Un coup de dés, Préface

 

 

Seit der spätnominalistischen Zersetzung des theologischen Ordo muß bürgerliche Rationalität dem Auflösungsprozeß der Transzendenz aus eigener Kraft standhalten: in welt- und immanenzträchtigen Sinnentwürfen, die das Telos christlicher Offenbarung zu beerben haben. Schon im "omnia ubique" des Nikolaus von Kues schwingt in antifeudaler Emphase jener Bewältigungsakt der frühen Moderne mit, der das Entschwinden des göttlichen Signifikanten mit dessen mundaner Omnipräsenz im Namen einer neuen Anthropologie zur Deckung zu bringen sucht.(1) Ihre gegen den Monotheismus eines absoluten Mittelpunkts gerichtete Intention entband das Partikulare vom Blick des hierarchischen Gefälles, ohne es ins Mindere oder Leere fallen zu lassen.(2)

     Das markanteste Phänomen solcher Säkularisierung repräsentiert wohl die Aufhebung der Suisuffizienz des summum bonum im Identitätsdogma neuzeitlicher Subjektivität. Dessen ästhetische Tragweite wird offenkundig, sobald das profanierte Theologumenon der causa sui seine Zeit- und Gedächtnisstrategien zur Wirkung bringt. Entwirft sich doch der Einheitsgedanke des Person-Begriffs in Korrespondenz zur Gattungsvernunft gemäß einer Fortschrittseuphorie, die als Allianz von Finalität und Ethos schließlich mit Beethovens Symphonik ihren musikalischen Höhepunkt als einen der bürgerlichen Kunst schlechthin erreicht. Was Kant als die innerste Zelle neuerer Mentalitätsgeschichte formuliert hat, die possessive Kontinuität des "Ich denke", das "alle meine Gedanken (muß) begleiten können"(3), benennt als "durchgängige Identität des Selbstbewußtseins"(4) das ökonomische Fixum einer subjektzentrierten Zeit, der auch die Entwicklung der Musik seit dem stile rappresentativo bis in die jüngste Vergangenheit hinein verpflichtet bleibt: ihr Sprach- und Ausdruckscharakter ebenso wie die Telos-Dramaturgie ihrer Formen.

     Über den zerrütteten Status des Subjekts in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts hat sich Adorno keine Illusionen gemacht. Gleichwohl verstehen sich seine musikphilosophischen Reflexionen als eine Gratwanderung zwischen der kompromißlosen Entzauberung des Subjektmonopols und dem Einspruch gegen eine defätistische Aufkündigung des Subjektmoments in einer bis zur potentiellen Nichtigkeit des einzelnen verwalteten Welt. Dieses Beharren Adornos auf dem Punkt einer radikalen Identitätskritik, die die Ethik idealistischer Provenienz überschreitet und dennoch an einem letzten Rest von Subjektethos im Zeichen des Mimetischen festhält, stellt der Musik der Gegenwart mit Blick auf das ästhetische principium individuationis eine ihrer entscheidenden Fragen: welche Auswirkung hat der Zerfall der subjektexpressiven Idiomatik auf die Möglichkeit zeitgenössischen Komponierens?

     Adorno hat stets moniert, das Verlöschen der Subjektspur als Hinfälligkeit und Gleichgültigkeit des Ausdrucks zu verbuchen, nie aber hat er restaurativ bezweifelt, daß die serielle und postserielle Musik das "Expressionsideal irreversibel überholt"(5) habe. So antwortet die "gegenwärtige Rebellion gegen das Subjekt" auf das Faktum, "daß die jüngste Geschichte, die fortschreitende Entmächtigung des einzelnen Individuums bis zur drohenden Katastrophe des Ganzen, den unmittelbaren Ausdruck von Subjektivität mit Eitelkeit, mit Scheinhaftem und Ideologischem überzogen hat. Das Subjekt (...) hat schließlich selber als ephemer sich entblättert. Während es so tut, als wäre es der Schöpfer der Welt, oder der Weltgrund, ist es, englisch gesagt, fake, bloße Veranstaltung dessen, der sich aufwirft, sich aufspielt, während an ihm real kaum mehr etwas liegt. (...) So wenig Musik, Kunst überhaupt, bar des subjektiven Moments gedacht werden kann - sie muß eben jener durch den Ausdruck sich bespiegelnden und damit allemal affirmativen Subjektivität sich entschlagen, die der Expressionismus geradewegs von der Neuromantik ererbte".(6) Subjektivität desillusioniert sich zur transitorischen Kategorie der Geschichte. Was Adorno deshalb als die "paradoxe Schwierigkeit aller Musik heute" eruiert, den "Verlust objektiv vorgegebener musikalischer Sprache", bedeutet für den Formenkreis des Postexpressionismus zunächst nichts Geringeres als den "Zwang", eine "eigene Sprache sich erst (...) schaffen" zu müssen, "während Sprache als seinem Begriff nach auch jenseits und außerhalb der Komposition Stehendes, als ein sie Tragendes, nicht aus dem puren Willen des Einzelnen sich schaffen läßt"(7).

     Daß die abendländische Musik seit der Organalpraxis der Notre-Dame-Schule und der frankoflämischen Kontrapunktik dem gesellschaftlichen Prozeß von Rationalität und Rationalisierung im Sinne Max Webers eng verbunden bleibt, hat den Materialbegriff Adornos entscheidend beeinflußt(8). Sofern nämlich Musik an der Aufklärung teilhat, an Geist und Kritik, bedingt das Anwachsen ihrer immanenten Reflexion als "Herrschaft über bloß Natürliches" und damit als Anwachsen ihrer "Subjektivierung und Humanisierung" zugleich ihre "Sprachwerdung"(9). Der "Sprachcharakter" von Musik ist daher Adorno zufolge seiner Genese nach "doppelten Wesens". Systematisch und transsubjektiv, wenngleich subjektoffen aufgrund seiner "Verfügung über das Naturmaterial", bleibt er substruktiv immer auch dem Erbe des "Vorrationalen, Magischen, Mimetischen"(10) verpflichtet. Indem jedoch die Versprachlichung der Kompositionen deren mimetische Qualität über eine zunehmende Subjektivierung und Psychologisierung in Konvention wie in Ausdruck verwandelt, ist der okzidentalen Musik damit ihr Widerspruch gesetzt. "Je mehr sie, als Sprache, den Ausdruck als Nachahmung eines Gestischen, Vorrationalen in die Gewalt nimmt und verstärkt, um so mehr arbeitet sie zugleich auch, als dessen rationale Bewältigung, an seiner Auflösung."(11) Mit der rigorosen Aufhebung des Idiomatischen um des "reinen, unverdinglichten, unvermittelten Ausdrucks willen" sieht sich die zeitgenössische Musik schließlich der Aporie gegenüber, des "Ausdrucks selbst nicht mehr mächtig" zu sein.

     Für Adorno bleiben deshalb Ausdrucksgestus, Sprachcharakter und Subjektspur der Musik untrennbar einander legiert. Entsprechend seiner Kritik am neuzeitlichen Wissenschaftsideal und dessen Leitdogma, Objektivität resultiere einzig aus der Eliminierung des Subjekts, gilt ihm als unverrückbar, "daß die Emanzipation der Musik von der Sprache jener nicht gelingen kann, indem sie (...) sich vermeintlich vorsprachliche Strukturen zum Modell nimmt und einbildet, es rede aus ihr das Sein, wenn nur das Subjekt aufhört zu reden"(12). Zudem ist Adornos Absage an den Mythos des Ersten jegliches Material immer schon vermittelt: sedimentiertes gesellschaftliches Bewußtsein im Rohzustand. Daher auch seine auf Marx reflektierende Zurückweisung jeglicher Art kompositorischer Materialvergötzung, die den "Gesetzen von Natur" zu folgen scheint, "während die Materialordnungen, die sich kosmisch gebärden, selber bereits das Produkt menschlicher Veranstaltungen sind (...). Verblendet erhebt man ein von Menschen Gemachtes zum Urphänomen und betet es an, der authentische Fall des Fetischismus"(13).

     Sind nach Adorno Kunstwerke das "verborgene gesellschaftliche Wesen, zitiert als Erscheinung"(14), dann führt, sofern das Wesen erscheinen muß, um mit Hegel zu reden(15), die Aura des Geistes der Kompositionen zu deren technischer écriture. Solche Akzentuierung der Faktur als der Matrix des Wahrheitsgehalts läßt mit dem Formalismus traditioneller Hermeneutik zugleich auch, indem sie Form als "sedimentierten und modifizierten Inhalt"(16) denkt, sämtliche Widerspiegelungstypologien einer Reduktion von Ästhetik auf Soziologie hinter sich. Das Gesellschaftliche der Kunstwerke ist vielmehr "nicht nur ihre Anpassung an auswendige Desiderate von Auftraggebern oder vom Markt sondern gerade ihre Autonomie und immanente Logik. Wohl erwachsen ihre Probleme und Lösungen nicht jenseits der gesellschaftlichen Normsysteme. Aber sie erringen gesellschaftliche Dignität erst, indem sie von diesen sich entfernen; die höchsten Produktionen negieren sie"(17).

    Gesellschaft manifestiert sich in den Kompositionen als fait social, um sich mit deren Autonomie zur Transzendenz gesellschaftlicher Empirie zu wandeln, zur Suspension von Naturbeherrschung durch äußerste Anspannung der ästhetischen Konstruktion. So kritisiert die mimetische Rationalität der Kunst die der ökonomischen Wirklichkeit als eine partikulare und irrationale selbstvergessener Mittel. Kunst als eine Praxis jenseits der Praxis dekuvriert deren realen Bann im "Einspruch gegen das Organisationsprinzip selbst, gegen Herrschaft über innere und auswendige Natur"(18).

     Adornos an der Struktur des Werks, seinem Zeitkern wie seiner Autonomie ausgerichteter Begriff einer Vermittlung von Musik und Gesellschaft kontrastiert deshalb Kunstsoziologien von der Fasson klarer Gesellschaftspositionen und Klassenstandpunkte vor allem als eine Absage an die Direktive der Aussage. "Die krude Zurechnung zu Klassen und Gruppen ist bloß assertorisch (...). Bis heute hat es Musik nur als ein Produkt der bürgerlichen Klasse gegeben, das in Bruch und Gestaltung die Gesamtgesellschaft zugleich verkörpert und ästhetisch registriert. (...) Vollends die privaten politischen Gesinnungen der Autoren stehen meist mit dem Gehalt der Werke bloß im zufälligsten und unmaßgeblichsten Zusammenhang."(19) Kehrt in "großer Musik" Gesellschaft wieder, so stets "verklärt, kritisiert und versöhnt, ohne daß diese Aspekte mit der Sonde sich trennen ließen". "Als dynamische Totalität, nicht als Reihung von Bildern wird große Musik zum inwendigen Welttheater"(20).

     So gilt der Beethoven des heroischen Stils Adorno zwar als der Repräsentant einer Musik, die in virtuoser Dialektik die Erzeugung des Formgesetzes aus Freiheit als deren Notwendigkeit suggeriert, nach Hegels Terminologie also Allgemeines und Besonderes zum Einstand zwingt. Um den Preis jedoch, aufgrund einer nahezu instrumentellen Brechung des Materials zugleich auch die Gewalt der Totale zu stabilisieren. Nach Adornos Theorem des Pakts zwischen Subjektivismus und Verdinglichung(21) führt die "Dynamisierung der ästhetischen Formen durch den Subjektivierungsprozeß" stets ein "Maßloses und Zerstörendes" mit sich. Denn "Form, die gänzlich vom formenden Subjekt in die Gewalt genommen ist, verewigt zugleich dessen Gewalttat. Das souveräne, seiner bloßen Naturbestimmung entrückte Subjekt ist ungebändigter Natur wahlverwandt; in der Autonomie kehrt die Barbarei wieder, die sie mit der Forke vertilgte, bei Beethoven wie bei Fichte. Daß die integral durchgestalteten Kunstwerke dem Schein von Organismen sich nähern, nähert sie zugleich dem brutal Naturwüchsigen"(22).

     Gesellschaftliche Widersprüche dokumentieren sich für Adornos ästhetische Diagnostik als Probleme der Form. Von deren Logizität her akzentuiert er in Perspektive auf den bürgerlichen Antagonismus von Dynamik und Statik auch den Reprisenfokus bei Beethoven(23). Basiere doch dessen Wahlverwandtschaft mit dem idealistischen Sublimierungskodex auf dem als Endzweck der Gattung projizierten bürgerlichen Prinzip von Ich und Arbeit und seiner ethisch legitimierten Aufspreizung zum absoluten: mit Ausblendung jener sozial unteren Sphäre, die Kants erkenntnistheoretische Konnotation von Sinnlichkeit und Pöbel verräterisch präzis bestimmt hat(24). Wird die Reprise "ebensowohl durch den dynamischen Verlauf herbeigeführt, wie sie ihn als sein Resultat nachträglich gleichsam rechtfertigt", so hat Beethoven "in dieser Rechtfertigung (...) tradiert, was dann unaufhaltsam über ihn selbst hinaustrieb. Der Einstand des dynamischen und statischen Moments aber koinzidiert mit dem geschichtlichen Augenblick einer Klasse, welche die statische Ordnung aufhebt, ohne doch selbst der eigenen Dynamik fessellos sich überlassen zu können, wenn sie nicht sich selbst aufheben will (...). Daß aber die immanente Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft diese sprengt, ist in Beethovens Musik, die höchste, als Zug ästhetischer Unwahrheit eingeprägt: was ihm als Kunstwerk gelang, setzt durch seine Gewalt auch als real gelungen, was real mißlang, und das affiziert wiederum das Kunstwerk in seinen deklamatorischen Momenten"(25).

     So rechnet Adorno das "formalistische Residuum"(26) der Beethovenschen Reprise fast ausnahmslos der Semantik von Affirmation, Zwang und Herrschaft zu, sofern es das "Resultat der Dynamik, des Werdens, als die Bestätigung und Rechtfertigung des Gewesenen"(27) präsentiere: mit einem Gestus, der den Akt der "Legitimation"(28) zuweilen der "Gewalt des repressiv Niederschmetternden"(29) verschränke. In der Reprise bleibe Musik somit als "Ritual der bürgerlichen Freiheit, gleich der Gesellschaft, in der sie ist und die in ihr ist, der mythischen Unfreiheit hörig"(30).

 

Über Hegels Heteronomiekritik schärft Adornos Musikphilosophie die Konstruktion der Bewegung aus den Sachen gegen die Abstraktheit ästhetischer Dikta, indem sie mit der medialen Struktur der Phänomenologie des Geistes ernst macht und den "Vorrang des Objekts"(31) in Wahlverwandtschaft zu Nietzsches Gedanken vom "Leitfaden des Leibes"(32) seinem Naturgrund nach interpretiert. Hinterlassen die "Wunden des Geistes" bei Hegel keine "Narben"(33), bleibt für Adorno "Leiden auf den Begriff gebracht, stumm und konsequenzlos"(34). Gegen Hegels System-Macht des Vergessens(35) steht Adornos Eingedenken des Traumas und seine Insistenz auf dem sinnlichen Moment des Ausdrucks in der Tradition der Mnemosyne Hölderlins. Daß für Adorno "Synthesis (...) die Losung des Idealismus"(36) ausmacht, "große Musik" hingegen als "begriffslose Synthesis"(37) zu sich kommt, variiert diese Differenz im Spannungsverhältnis von Musik und Philosophie. Der erkenntniskritische Impuls, daß der Gedanke auf sein materiales Substrat verwiesen, "kein Sein ohne Seiendes"(38) sei, intendiert nichts Geringeres, als daß, was als Geist und Vernunft firmiert, seiner eigenen physischen Matrix innewerde.

     Wenn Adorno ästhetisches Verhalten einmal als die "Fähigkeit, irgend zu erschauern", als das "vom Anderen Angerührtsein" präzisiert, ein "Bewußtsein ohne Schauer" dagegen als das "verdinglichte"(39), setzt er die Motivtradition jenes frisson fort, den schon Goethes Faust als Lebenselixier des "Schauderns" preist: als Lysis eines tödlichen "Erstarrens"(40), dem der homo oeconomicus der Moderne im Kaltsinn des Kalküls und der Phantasielosigkeit verfiel. Konkretisieren läßt sich diese mimetische Spur wider das Pandämonium zerstörter Empathie an Adornos Strawinsky-Studien, die um den Befund von "Entseelung"(41) und Verdinglichung kreisen.

     Ob Strawinskys Kompositionen "objektiv falsches Bewußtsein" produzieren oder nicht; ob sie sich "mit dem Opfer" identifizieren oder "mit der vernichtenden Instanz"; ob sie womöglich gar eine "gelungene" Imago der "Entmächtigung des Subjekts" gegenüber dem "mörderischen Kollektiv"(42) repräsentieren, muß Adorno zufolge zunächst einzig von der Faktur und von der Erfahrung her geklärt werden, daß "etwas an Strawinskys Musik immanent nicht [stimmt]"(43). Stets nämlich "sympathisiert" das "ästhetisch Schlechte mit der Ideologie. Immanente Mängel von Kunst sind Male gesellschaftlich falschen Bewußtseins"(44).

     Die Bedingung kompositorischer "Transzendenz" - "daß sie in jedem Augenblick geworden ist und ein Anderes, als sie ist: daß sie über sich hinausweist"-, bleibt als "Einspruch gegen Mythos und immergleiches Schicksal, gegen den Tod selber" auch für eine Musik "im Stand objektiver Verzweiflung"(45) verbindlich. "Freiheit selbst ist ihr immanent notwendig"(46). Von dieser Sicht her hat Strawinsky die "musikalische Pflicht der Freiheit verleugnet". "Während vermöge der puren Zeitform seine Musik weitergeht (...), geht sie, als prinzipiell nur aus Wiederholungen montierte, nicht weiter. Ihr Gehalt verkehrt sich."(47) Strawinskys Repetitionen boykottieren Adornos Ausdrucksmodell nach die Vermittlung musikalischer Ereignisse und deren durch "Qualitäten des Vorher, des Nachher, des Jetzt und ihrer Relationen"(48) artikulierten Zeitverlauf. Wird Strawinsky die "Zeit selber, als bloße, losgelassene Vergängnis zum Unheil, und sie ästhetisch zu eskamotieren zum Phantasma von Rettung"(49), wäre im Unterschied dazu das "organische Ideal" der Musik "nichts anderes als das antimechanische; der konkrete Prozeß einer werdenden Einheit von Ganzem und Teil, nicht ihre bloße Subsumtion unter den abstrakten Oberbegriff und danach die Juxtaposition der Teile"(50).

     Adornos Argumentation im Fall Strawinskys zeigt, wie deren hermeneutische Praxis immer schon gegen jede positivistische Deskription vom kritischen Sensorium geleitet wird. Scheint deshalb einer der maßgeblichen Einwände Adornos gegen Strawinsky - dessen Stereotypien verstießen gegen die im Wechsel des Neuen sich entwickelnde Temporalität von Musik - auf eine apriorische Vorentscheidung zu setzen, dann nur so lange, als deren materiale Basis in Adornos Mimesis-Verständnis ausgeblendet bleibt(51). Nicht die "Konzeption eines Ausweglosen"(52), sondern deren Abwehr in den Fesseln statischer Iterationen nämlich trieben Strawinskys Kompositionen der Affirmation des Mechanischen zu. Als physiognomische Entfaltung seiner Theorie des "Ausdrucks", der "allemal aus dem Leiden des Subjekts am Objekt hervorgeht"(53), diagnostiziert Adorno gerade in der "Ausdrucksfeindschaft" das "sinnfälligste Moment von Depersonalisierung bei Strawinsky" und seiner "impassibilité"(54). So wird trotz des Ausdrucks des Ausdruckslosen die Absage an den expressiven Habitus "unwahr und reaktionär", indem die "Gewalt, die damit dem Individuellen widerfährt, unmittelbar als Überwindung des Individualismus erscheint"(55). Anders als die Schockbewältigung beim "mittleren Schönberg" durch "Angstbereitschaft" und Subjektbewahrung akzeptiere Strawinskys Elimination des Individuierten, "daß die Schocks nicht sich zueignen lassen. Das musikalische Subjekt verzichtet darauf, sich durchzuhalten, und begnügt sich damit, die Stöße in Reflexen mitzumachen. (...) Das [aber] ist das innerste Pseudos des Objektivismus: die Vernichtung des Subjekts durch den Schock wird in der ästhetischen Komplexion als Sieg des Subjekts und zugleich als dessen Überwindung durch das an sich Seiende verklärt"(56). Strawinskys "Trick, Selbsterhaltung durch Selbstauslöschung, fällt ins behavioristische Schema der total eingegliederten Menschheit" und überführt den Komponisten der "permanenten Regression" in Adornos Analysen als einen "Exekutor" des "Fortschritts zur negativen Geschichtslosigkeit"(57).

 

Bereits bei Hegel zersetzt der Druck der sozialen Antagonismen das Ideal des ästhetischen Organismus und treibt die Versöhnungsarbeit des Geistes zur Prosa des Begriffs. Daß sich Hegels Philosophie als Palliativ gegen die dissoziativen Kräfte der bürgelichen Gesellschaft entwirft, indem die Allgegenwart und Rastlosigkeit ihrer Vermittlungspräsenz darauf abzielt, keinen Teil des Systems in die Isolation und damit in einen letalen Separatismus fallen zu lassen, ist nur eine andere Facette solcher Empiriebewältigung. Diese Hypothek schreibt sich bei Adorno als Kategorie des Ernstes über die Figuren der "Stimmigkeit" des Kunstwerks und seiner "Zerrüttung" in der Moderne fort. Auch in Adornos Ästhetik der neuen Musik hat jegliches Komponierte den realen Widersprüchen verpflichtet zu bleiben. "Die Unmenschlichkeit der Kunst muß die der Welt überbieten um des Menschlichen willen. (...) Die Schocks des Unverständlichen, welche die künstlerische Technik im Zeitalter ihrer Sinnlosigkeit austeilt, schlagen um. Sie erhellen die sinnlose Welt. Dem opfert sich die neue Musik. Alle Dunkelheit und Schuld der Welt hat sie auf sich genommen. All ihr Glück hat sie daran, das Unglück zu erkennen; all ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versagen."(58)

     Adorno hat das Ethos ästhetischer Differenz niemals aufgegeben. Noch das späte Diktum von der "Grundfarbe schwarz" aller "radikalen Kunst heute"(59) akzentuiert deren pathographischen Erkenntnischarakter als äußersten Kontrast zum goutierbar Angenehmen(60). Hat Musik etwas mit Wahrheit und Erkenntnis zu tun, steht es ihr nicht frei, sich unbekümmert zur Chronique scandaleuse des Weltlaufs und seinen Katastrophen zu verhalten. Unter Rekurs auf das Dissonanzmotiv Hegels, Kunst müsse sich um ihrer Authentizität willen auf die "Prosa der Welt"(61) einlassen, und in Korrespondenz zu Benjamins Allegoriebegriff wandelt sich dieser Gedanke bei Adorno zur Idee von der Reflexionskraft des "zerrütteten Kunstwerks", das "mit seiner Geschlossenheit die Anschaulichkeit preis[gibt] und den Schein mit dieser. Es ist als Gegenstand des Denkens gesetzt und hat am Denken selber Anteil: es wird zum Mittel des Subjekts (...). Das geschlossene Kunstwerk nimmt den Standpunkt der Identität von Subjekt und Objekt ein. In seinem Zerfall erweist sich die Identität als Schein und das Recht der Erkenntnis, die Subjekt und Objekt einander kontrastiert, als das größere, als das moralische. Die neue Musik nimmt den Widerspruch, in dem sie zur Realität steht, ins eigene Bewußtsein und in die eigene Gestalt auf. In solchem Verhalten schärft sie sich zur Erkenntnis"(62).

     Das Moment der "Kunstfeindschaft"(63) in der Rebellion der Moderne gegen das republikanische Organismuskonstrukt(64) zersetzt die Homöostase des Ganzen und seiner Teile vom Typus des Aristotelischen "anankeion"(65) als scheinhafte Subsumtion. Die dialektische Zweck-Mittel-Relation von Teil und Ganzem entpuppt sich parallel zum Zerfall des philosophischen Systemgedankens als ein vom Imperativ der Form veranstaltetes Harmonieideal, das die Antagonismen der gesellschaftlichen Arena Lügen strafen. Daß Beethoven im "Molto vivace" der Neunten Symphonie, auf der rhetorischen Ebene des Gattungssubjekts also, ästhetische Zeit drastisch in die empirische implodieren läßt, den Scheincharakter des Werks punktuell sprengt und damit die Konstruktion ähnlich der Parekbase Schlegels ironisiert, bedeutet einen frühen, wenngleich symptomatischen Putsch gegen die Mnemonik des Homogenen und ihre Aura der Geschlossenheit(66).

     Sobald die unberechenbaren Marktdiktate der Konkurrenzökonomie im Horizont politisch enttäuschter Hoffnungen, manifest im depressiven Erwartungsriß von Französischer Revolution und Restauration, die Rudimente säkularer Theodizee zum Verschwinden brachten, zerging mit dem Konkurs des Perfektibilitätsmodells und seiner Fortschrittskomponente auch die sinnorientierte Dialektik von Zufall und Notwendigkeit. Deren Stabilisierung über die Garanten von Vernunft und Freiheit im Hegelschen Begriffskosmos wird von Kleists Erschrecken über das Zerreißen der Kausalitätsketten unter Verkehrung der Kriterien von Gut und Böse kontrapunktiert(67). Das historisch zunehmend von Unwägbarkeit und Kontingenz erschütterte, auf dem Satz vom Grund basierende Notwendigkeitsdogma beginnt sich als Allmachtsphantasie einer Subjektivität zu demaskieren, deren Sicherheitsverlangen unter paranoidem Einfluß steht. Ästhetisch kommt die Einsicht zum Tragen, das dem Eigentumsbegriff kongruente, die Interpretation der Welt im Synthesisverbund der Urteile meisternde und darin sich jederzeit präsente Bewußtseinskontinuum von dessen zielgerichteter Identifikationsarbeit zu entbinden, müsse nicht zwangsläufig - wie in den Erkenntniskonzeptionen von Descartes bis Schopenhauer - dem Wahnsinn anheimfallen. Dieser liege womöglich umgekehrt in der alten Geschlossenheitsdoktrin.

     Als schließlich Mallarmés Coup de dés 1897 schockhaft und befreiend zugleich die finale Dramaturgie und ihre eindimensionale, ichzentrierte Leserichtung samt ihrem Assoziationsstrom aufbrach und zersplitterte - simultan etwa zu vergleichbaren Tendenzen Eric Saties in der Musik -, legte die scheinbare Willkür seiner polyvalent gestreuten Syntax die Zufälligkeit des identitätsfixierten Erzählkanons bloß. Zudem ließ die Umwertung der Dignität zwischen dem Schwarz der Zeichen und dem Weiß der leeren Seitenpartien jene Differenz offenbar werden, die bislang vom signifikativen und narrativen Sinngötzen der Literatur und seiner Repräsentanz von Welt zum Verschwinden gebracht wurde: das Weiße enthüllte sich als der Grund, der Schrift erst zur Erscheinung, zum Sprechen und zum Verlöschen brachte.

     Mallarmés musikinspirierte Entgrenzungen, die mittelbar oder in direktem Einfluß insbesondere wieder auf musikalischem Gebiet Wirkung zeigten: in der Aufhebung der Rangordnung von Ton und Stille bei Cage etwa oder in Form der Improvisationsschneisen, die Boulez und Stockhausen in die geschlossene Faktur der Kompositionen trieben, überschreiten im objektivierten Werk das poetische Ich und sein Formgedächtnis um der Vielfalt einer Konstellation willen, die die Ökonomie des Diachronen zur "vision simultanée de la Page"(68) potenziert. Bleibt Mallarmés manisches Umkreisen der Zufallsthematik an den Traum vom "oeuvre pure" gebunden, mit dem "sprechenden Hinwegtreten des Dichters, der die Initiative den Wörtern überläßt"(69), und mit dem Vorrang des geformten Materials, der das dichterische Subjekt im Dickicht der Zeichen zum Verschwinden bringt, dann bricht diese Intention jenseits der "persönlich-enthusiastischen Satzführung"(70) die temporalen Verfügungs- und Einschränkungsgesten des auktorialen Autors und den Verzögerungsfilter seiner kausalen Selektionsmechanismen auf.

     In der Moderne antwortet solche Jetztemphase dem Ruin einer subjektdramatischen Zeit, deren Homogenität, zumal als Index der Gattungsvernunft, nur über jene Ausschlußmechanismen gewährleistet werden konnte, die Adornos Idealismus- und Sy-stemanalysen etwa im Kontext seiner Beethoven-Reflexionen aufgedeckt haben(71). Zugleich schreibt Adorno selbst die gewaltkritische Dehierarchisierung des frühbürgerlichen "omnia ubique" in der Variante des "Alles gleich nah zum Mittelpunkt" fort, um darin mit Tendenzen der zeitgenössischen musikalischen Avantgarde zu konvergieren, am auffälligsten wohl mit Stockhausens "Momentform". Auch bei Adorno richtet sich der antihierarchische Impuls gegen die Moral einer Mnemonik, deren Taxinomie von Wichtigem und Unwichtigem, von Richtigem und Falschem die an den Erkenntnisbaum gebundene Scheidung von Gut und Böse tradiert, um über dualistische Wertungsraster purifizierte Sinnstrukturen zu erzeugen.

     Adorno wie Stockhausen geht es um Präsenz und Intensität(72). So bestimmt Adornos Forderung nach "Abschaffung des Unterschieds von These und Argument" dialektisches Denken dahingehend, "alle Brückenbegriffe, alle Verbindungen und logischen Hilfsoperationen, die nicht in der Sache selber sind", aufzuheben: "in einem philosophischen Text sollten alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen"(73). Geht Hegels Formalismusschelte als eine am bloß Gesetzten und sein Struktiv, "daß die Methode mit dem Inhalt, die Form mit dem Prinzip vereint sei"(74), auf solche Dichte aus, um sie aufgrund des Subjekt-Primats schließlich doch zu unterlaufen, dann beabsichtigt Adorno, die "letzten Spuren des deduktiven Systems zusammen mit der letzten advokatorischen Gebärde des Gedankens zu beseitigen"(75). Die Aussetzung des behauptungs- und begründungsdistinkten Diskurses und seiner Vermittlungshierarchie(76) macht als mimetisches Ingenium das Ästhetische an Adornos Theorie und ihre Nähe zur Musik des radikalen Nominalismus aus. Auch diese tendiert mit der Tilgung sämtlicher Schematismen zu "Verfahrungsarten, in denen alles, was geschieht, gleich nah ist zum Mittelpunkt"(77). So zielt Stockhausens "Momentform" auf Strukturen, die den Begriff der Dauer überwinden wollen, auf Strukturen also, die im Unterschied zum Stufenschema der finalen Form "sofort intensiv sind und (...) das Niveau fortgesetzter 'Hauptsachen' bis zum Schluß durchzuhalten suchen; (...) in denen nicht rastlos ein jedes Jetzt als bloßes Resultat des Voraufgegangenen und als Auftakt zu Kommendem, auf das man hofft, angesehn wird, sondern als ein Persönliches, Selbständiges, Zentriertes, das für sich bestehn kann; Formen, (...) in denen die Konzentration auf das Jetzt - auf jedes Jetzt - gleichsam vertikale Schnitte macht, die eine horizontale Zeitvorstellung quer durchdringen bis in die Zeitlosigkeit, die ich Ewigkeit nenne: eine Ewigkeit, die nicht am Ende der Zeit beginnt, sondern in jedem Moment erreichbar ist(78).

     Allerdings droht mit dem Verwischen der Subjektspur zugunsten einer abstrakten "Konstruktion des Ganzen" die wiederholungsresistente Permanenz des Unverwechselbaren und Einmaligen einer Agonie der Leere und monotonen Geschlossenheit zu verfallen. Sind doch Kompositionen mit der Aufhebung des "Unterschieds von Essentiellem und Akzidentellem (...) in allen ihren Momenten" eben immer auch "gleich nahe zum Mittelpunkt". "Es gibt keinen unwesentlichen Übergang mehr zwischen den wesentlichen Momenten, den 'Themen'; folgerecht überhaupt keine Themen und in strengem Sinn auch keine 'Entwicklung'"(79). Vom statischen Aspekt des Systems her weist dieses kompositorische Integral Analogien zum "totalen Funktionszusammenhang"(80) einer ihren Zwecken nach irrationalen Gesellschaft auf, die bar des Scheins der Dynamik anankastisch erstarrt. "Schließlich gibt es ein Maß an System (...), das als universale Abhängigkeit aller Momente von allen die Rede von Kausalität als veraltet überholt; vergebens die Suche danach, was innerhalb einer monolithischen Gesellschaft Ursache gewesen sein soll. Ursache ist nur noch jene selbst. (...) Jeder [sc. Zustand] hängt horizontal wie vertikal mit allen zusammen, tingiert alle, wird von allen tingiert. (...) In der totalen Gesellschaft ist alles gleich nah zum Mittelpunkt."(81)

     Die Parallele zur Zwölftontechnik wird deutlich, sobald Adorno deren Wesen als ein "geschlossenes und zugleich sich selbst undurchsichtiges System" charakterisiert, in welchem die "Konstellation der Mittel unmittelbar als Zweck und Gesetz hypostasiert wird". "Die Gesetzlichkeit, in der sie sich erfüllt, ist zugleich eine bloß über das Material verhängte, die es bestimmt, ohne daß dieses Bestimmtsein selber einem Sinn diente"(82). So reduziert sich "Stimmigkeit" auf das Ideal "mathematischen Aufgehens"(83), während Adornos Gedanke, das Werk sei um so "sprechender", "je vollkommener" es "durchgebildet" sei, "Durchbildung" als die "inhaltliche Organisation des Werdenden" gerade im schärfsten Gegensatz zu "mathematischer Notwendigkeit"(84) versteht. Daß deren "Reinheit (...) immer zum kompositorischen Mangel" wird, "meldet das Bedürfnis der integralen Gestalt nach dem helfenden Subjekt an"(85), das eben von der "Ordnung der Zwölftontechnik (...) virtuell (...) aus[gelöscht]"(86) wird. Der Kreis zu den Strawinsky-Essays schließt sich, sofern dem "rationalen System" schließlich die Meisterschaft des kompositorischen Subjekts erliegt(87), das doch das "einzige Moment von Nichtmechanischem, von Leben [ist], das in die Kunstwerke hineinragt (...). So wenig Musik dem Subjekt gleichen darf (...) -, so wenig darf sie ihm auch vollends nicht gleichen: sonst würde sie zum absolut Entfremdeten ohne raison d'être"(88).

     Während Adorno die heroische Zeit der freien Atonalität als eine souveräne Emanzipation des Ausdrucks gegen die Allgemeinheit der schal gewordenen tonalen Sprachmuster reflektiert, versteht sich seine Kritik des Objektivismus als eine an der Unterwerfung unter das "übermächtige, sinnlose Dasein", fern der "Kraft des Subjekts"(89). Deshalb bleibe "auch das von Cage lancierte Zufallsprinzip (...) so ichfremd wie sein scheinbares Gegenteil, das serielle; auch es gehört unter die Kategorie der Entlastung des geschwächten Ichs. Der reine Zufall bricht zwar die sture ausweglose Notwendigkeit, aber ist dem lebendigen Gehör so äußerlich wie diese. (...) Statistische Allgemeinheit wird zum ichfremden Gesetz der Komposition"(90).

 

Im Verflüssigen der Abstraktionen des trennenden Verstandes repräsentiert Hegels Kantpolemik ein theoretisches Modell, das Adornos Philosophie aufgreift und weitertreibt, ohne auf die Synthesis von Versöhnung setzen zu können: als eine Entlarvung der Schematismen des verdinglichten Bewußtseins und der Korrespondenz seiner Extreme im irrationalen Bodensatz instrumenteller Vernunft. Deren Diagnose bestimmt unter Engführung von Erkenntnis- und Gesellschaftsanalyse auch Adornos Arbeiten zur neuen Musik, die im Gedanken vom Umschlag einer Ratio manischer Naturbeherrschung in mythische Verblendung entscheidend mit der Dialektik der Aufklärung kommunizieren(91). Grundlegend bleibt die Pathographie der arbeitsteiligen Separierung von Ratio und Mimesis in ihren dichotomischen Facetten von Zeichen und Bild, Begriff und Anschauung, Wissenschaft und Kunst. "Als Zeichen kommt das Wort an die Wissenschaft; als Ton, als Bild, als eigentliches Wort wird es unter die verschiedenen Künste aufgeteilt (...). Als Zeichen soll Sprache zur Kalkulation resignieren, um Natur zu erkennen, den Anspruch ablegen, ihr ähnlich zu sein. Als Bild soll sie zum Abbild resignieren, um ganz Natur zu sein, den Anspruch ablegen, sie zu erkennen."(92)

     "Ratio ohne Mimesis" aber "negiert sich selbst", reduziert Denken zur "Tautologie"(93). Der Exorzismus gegen Imagination und Ausdruck schlägt in Barbarei um, der Objektivismus lükkenloser Konstruktion befördert das "in aller Kunst als deren Bedingung lauernde chaotische Moment". "Totale Materialbeherrschung und die Bewegung aufs Diffuse hin"(94) konvergieren. Zugleich gerät die Heteronomie von "entfremdeten Regeln", "bar der Spannung zum Subjekt, ohne die es Kunst so wenig gibt wie Wahrheit"(95), in ihrer Hypertrophie zur "gewalttätigen und äußerlichen Totalität, gar nicht so unähnlich den politischen totalitären Systemen"(96). Kompositionen unter dem Bann einer musikalischen Logik, von der das "Subjekt, dessen Freiheit die Bedingung avancierter Kunst ist, ausgetrieben wird", verselbständigen sich zur schicksalhaften "Höllenmaschine"(97).

     Immer wieder betont Adorno unter Berufung auf Ligeti, das serielle Konstruktionsprinzip laufe der Eliminierung des mimetischen Niveaus wegen Gefahr, in Willkür und Naturwüchsigkeit umzuschlagen, der entfesselte Zufall des Aleatorischen dagegen in blinde Notwendigkeit(98). Nicht anders gerinne der zu Ende gedachte "musikalische Nominalismus, die Abschaffung aller wiederkehrenden Formeln"(99), als totale Dynamik zur Statik(100). So wird ästhetisch virulent, was Adorno gesellschaftspolitisch als die Dialektik einer "zunehmenden Beherrschung äußerer und innerer Natur" ausmacht. "Indem sie das Viele reduziert, potentiell dem beherrschenden Subjekt gleichmacht und dem, was ihm an gesellschaftlichen Instanzen entspricht, verkehrt Dynamik sich selbst ins Immergleiche, in Statik. (...) Die Immergleichheit der Dynamik ist eins mit ihrem sich Zusammenziehen auf Monokratie."(101)

     Daß Adorno konsequent an der mimetischen Rationalität musikalischer Kompositionen, an ihrer diagnostischen Position und am Einspruch des ästhetischen Ingeniums festgehalten hat, brachte ihn in Gegensatz zu einer Musiktheorie und -praxis, der das affektive Subjektprivileg und das Formgedächtnis seines musikalischen Denkens als eine Mnemonik der Hierarchien und des Funktionalismus verdächtig wurden. Im Namen strukturalistischer Theorien sowie vor allem der Arbeiten Foucaults und Lyotards sucht in dieser Demontage des Subjekts prototypisch das subversive Lachen Nietzschescher Aphoristik dem Systemernst Hegels zu antworten. Ratifiziert wird der Abschied vom tragischen Theater der Philosophie, von seinen Wahrheits- und Moralkulissen und den Requisiten des "homo dialecticus"(102).

     Seitdem Marx' historisch-ökonomische Analytik und Nietzsches Erkenntniskritik die transhistorischen Stilisierungen der Metaphysik aufgedeckt und deren Geltung durch die Enttarnung ihrer zivilisa-tionsbedingten Genesis als eine ontologische Unterstellung entzaubert hatten, verlor sich mit dem geschichtlichen Ferment die apriorische Würde auch jeglicher temporaler und mentaler Strukturen. Namentlich Nietzsches Anatomie der kulturalen Instanz als der Trägerin und Garantin mnemonischer Rituale versuchte deren Mnemotechnik auf eine Enkaustik hin transparent werden zu lassen, die "im Schmerz das mächtigste Hilfsmittel (...) erriet". "Niemals" nämlich ging es "ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen"(103); verschworen dem "Gefühl der Schuld"(104) und dessen Herkunft aus dem "Vertragsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner" analog der "Äquivalenz von Schaden und Schmerz"(105). Dringt diese terroristische Spur als sublimierter Moral- und Hierarchiekodex noch in die musikalische Ökonomie als "Abhandlung von Prioritätsverhältnissen in der Zeit"(106) ein, dann können Cages oder Feldmans Kompositionen als die bisher radikalste Aufhebung der seit der "Seconda pratica" gefeierten Mnemonik und ihrer Affekt- und Wertungsprinzipien gelten. Treibt der zur Kontrollinstanz des Gewissens verinnerlichte göttliche Blick über den ästhetischen Schöpfungstopos der Frührenaissance zum Nominalismus einer Moderne, in der jedes Werk als seine eigene Gattung von den Argusaugen und Argusohren des Künstlers vollkommene Durchbildung zum stimmigen Integral verlangt, dann subvertiert und transformiert Cage diesen Imperativ als die Tyrannei einer Musik, die das subjektfixierte Hörideal durch die Abweichungen hindurch in der kompositorischen Schuld einer auf Identität, auf Beherrschbarkeit vereidigten Motiv- und Themenarbeit und der sie affirmierenden Formanten halte. Gegen die verdinglichte Reproduktion des Wiederholbaren und die geronnene Schrift der Notation proben Cages Improvisations- und Zufallstableaus unter einem Minimum an Direktiven die Einlösung des emphatisch Neuen(107).

     Gilt der Negativen Dialektik der Vereinnahmungs- und Ausgrenzungsfuror wie die Subsumtionsmanie des Systems als der "Geist gewordene Bauch", "Wut" als die "Signatur eines jeglichen Idealismus"(108), so bleibt der Synthesisgedanke und seine Geschlossenheitsintention in Adornos Hermeneutik der Form ebenfalls ein wenn auch transitorisches Moment für den Index des Repressiven. Trotz der Bedeutung des konstruktiven Integrals als der Artikulation des Beredten bewahrt Adorno, was Nietzsches genealogischer Blick für die reproduktiver Not entstammenden Zurichtungs- und Bändigungsmuster des Logos noch unter dessen ästhetischer Maske aufgespürt hatte: die Sensibilität für die Formung als Vivisektion, deren Praktiken eine Gewalt des Ausschlusses in Szene setzen. Das "schuldhaft Herrschende" in den Artefakten, die Amoralität, mit der "Kunst in die Schuld des Lebendigen [gerät]", indem sie "Schnitte durchs Lebendige" legt, getrieben zu "verstümmeln"(109), um zu artikulieren, bleibt nach Maßgabe der Dialektik der Aufklärung der Kontrapunkt zur suspensiven Kraft künstlerischer Mimesis. Die Herrschaft des Einen als der Triumph über das entmächtigte Viele, zu dem sich der monotheistische Konstruktionsbegriff abendländischer Rationalität zuspitzt, die Einsicht zumal in die Unmöglichkeit einer "bruchlosen und gewaltlosen Einheit der Form und des Geformten"(110), schärft sich bei Adorno zu deren "Melancholie"(111).

     Unter Verabsolutierung des Prokrusteshaften(112) ästhetischer Organisation gegen ihr Herrschaft sistierendes Potential kann Cage schließlich von Frankreich her als der "erste große Musiker des Vergessens"(113) gefeiert werden, in Wechselwirkung mit einer Rezeption, der es laut Charles anstünde, sich zu "entmemorisieren". "Bis jetzt war der Musik, unter anderem, aufgegeben, das Gedächtnis zu üben. Man forderte dem Zuhörer immer akrobatischere Gedächtnisübungen ab (...). Cage nun entdeckt den musikalischen Augenblick wieder als etwas freudiges und nomadisierendes"(114). Richtet sich indes Adornos Kritik des Vergessens, vornehmlich über den ethischen Grund seiner Ästhetik, gegen die barbarische, weil irrationale Rückkehr des als Trauma der Geschichte Verdrängten, dann nicht zuletzt infolge einer zur Geschichtslosigkeit tendierenden Vernunft der Effizienz, die im Funktionalismus sozialer Amnesie "zunehmend die Kraft zur Mnemosyne ein[büßt]". "Ahistorizität des Bewußtseins" aber ist mit bürgerlicher Ratio notwendig verknüpft, mit der des "universalen Tauschs, des Gleich und Gleich von Rechnungen, die aufgehen, bei denen eigentlich nichts zurückbleibt; alles Historische aber wäre ein Rest". Am Ende wird "Erinnerung, Zeit, Gedächtnis von der fortschreitenden bürgerlichen Gesellschaft als irrationale Hypothek liquidiert (...). Entäußert in der gegenwärtigen Phase die Menschheit sich der Erinnerung, um kurzatmig in der Anpassung ans je Gegenwärtige sich zu erschöpfen, so spiegelt darin sich ein objektiver Entwicklungszug. Wie Statik gesellschaftliche Bedingung des Dynamischen ist, so terminiert die Dynamik fortschreitender rationaler Naturbeherrschung teleologisch in Statik(115). Deshalb reklamiert Adorno den Anspruch des Eingedenkens wider das verordnete Vergessen für die Kunst als "Zuflucht des mimetischen Verhaltens"(116). Sie wird zum "Gedächtnis des akkumulierten Leidens"(117), dem die moderne Musik in der Tradition einer somatisch gewendeten Ästhetik des Erhabenen folgt: als eine Kunst des Standhaltens gegen den Verblendungszusammenhang einer perennierenden "Vorgeschichte" des Zwangs, deren mythischer Grund sich zur Naturgewalt einer Ökonomie des Todes verrätselt. "Die Kunstwerke versuchen sich an den Rätseln, welche die Welt aufgibt, um die Menschen zu verschlingen. Die Welt ist die Sphinx, der Künstler ihr verblendeter Ödipus und die Kunstwerke von der Art seiner weisen Antwort, welche die Sphinx in den Abgrund stürzt. So steht alle Kunst gegen die Mythologie."(118)

     Demnach dürfte Entscheidendes für die kompositorische Praxis wie die musikästhetische Theorie nach Adorno davon abhängen, ob Musik den ethischen Gestus im Bewußtsein unerlöster Geschichte und damit von Wahrheit/119) transformieren kann, ohne ihn abstrakt durch die Restauration neuer Subjekt-Szenarien oder die vermeintliche Progressivität einer sterilen ars mechanica zu negieren. Letztlich also davon, ob eine Spaltung der Trinität des Schönen, Wahren, Guten, zumal der Legierung des Ethischen und Ästhetischen, im Sinne Kants gegen den holistischen Wahrheitsrapport Hegels ohne Regression möglich ist. Zielt Lyotard auf eine Musik jenseits der Alternative von Logosaskese und Trieblust, auf eine Musik, die "weder Schein, musica ficta, noch mühselige Erkenntnis, musica fingens [ist], sondern: wandelbares Spiel von Klangintensitäten, parodistische Arbeit von Nichts, musica figura"(120), dann bleibt zu fragen, wie weit eine solche prima vista paradoxe Auferstehung Kants im Geiste Nietzsches trägt; eine Forderung also, die unbekümmert um die ethische Konnotation des Ästhetischen triebenergetische Musikkonzepte des 'interesselosen Wohlgefallens' lanciert(121). Muß aber eine Musik, die den Subjektgedanken der großen bürgerlichen Kompositionsrhetorik hinter sich gelassen hat, notwendig zur Gewalt des Bestehenden überlaufen? Womöglich zu einem neuen Historismus verkommen, dem im Gleichschritt mit der Akkumulationsrasanz einer verwertungsbesessenen Ökonomie alles im Supermarkt der Musikgeschichte als neue Beliebigkeit verfügbar wird?(122) Abgesehen davon, daß auch bei Cage das kompositorische Subjekt trotz äußersten Rückzugs immer noch als letztes Inszenierungsmoment der Objektivation fungiert, kann die Antwort darauf nur die Musik selbst geben.

     Obwohl Adorno nie die Idee preisgab, Kunstwerke, explizit die der Moderne, stünden "gespannt gegen das Entsetzen der Geschichte", entsprechend deute auch die moderne Musik auf das "gesellschaftliche Unwesen"(123), spricht er bereits zu Beginn der vierziger Jahre davon, daß neue Musik "keine Ideologie mehr" sei. Richtet sich hier der Gedanke, das Ästhetische der Werke müsse "nicht in der Lösung seiner Fragen und nicht einmal notwendig in der Wahl der Fragen selber (...) auf die Gesellschaft"(12$) reflektieren, in erster Linie gegen herkömmliche Realismusnormen, so entwirft rund zwanzig Jahre später der programmatische Essay Vers une musique informelle unter Variation Valérys die "Gestalt aller künstlerischen Utopie heute" unmißverständlich als den Versuch, "Dinge [zu] machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind"(125). Damit wird eine Imagination innerviert, die das Pathos der Distanz zeitgenössischer Musik zu einer gleich produktiven wie luxurierenden Phantasie des Ästhetischen gegen den Konkretismus der Warenwelt und fern jedem Dingkult entbinden möchte: jenseits der Scheidung von engagierter und autonomer Kunst und mit einer transsubjektiven Verwandlung des Subjekt-Ethos(126). So wie dies in den präzis komponierten, funktional entregelten und zu einer neuen Ordnung jenseits der Ordnung verzauberten Konfigurationen Morton Feldmans Ereignis wird: gegen die Hierarchien der Zeit und der Klänge, gegen die Form-Imperative und die Subjektdramaturgie einer gerade auch von der außereuropäischen Tradition her maßlos-dominanten Rhetorik des okzidentalen Ich samt der Theatralik seiner Ausdrucksmasken(127). Während sich das meiste sogenannter Gegenwartsliteratur unter Ausbeutung der verbalen Bedeutungsebene in einem vom Kommerz gegängelten obszönen Sinn-Geschwätz des Erzählens verliert, vermag radikale moderne Musik als "Widerpart der Wortsprache" eben auch als "sinnlose zu reden"(128). Deshalb ist "unter den Motiven eines vielleicht Kommenden, die heute an der Musik sich gewahren lassen, (...) nicht das letzte das ihrer Emanzipation von der Sprache, die Wiederherstellung gleichsam ihres lautlichen, intentionslosen Wesens - eben dessen, was der Begriff des Namens, wie sehr auch unzulänglich, umreißen wollte; die Überwindung musikalischer Naturbeherrschung durch deren Vollendung hindurch"(129).

 

       

Anmerkungen

1     Unter Aufnahme antiker, neuplatonischer und mystischer Traditionen findet sich dieser Gedanke im Werk des Cusaners vor allem in der Formulierungsbreite der "Omnia in omnibus"- und "Totum in partibus"-Topoi (De docta ignorantia; De filiatione Dei; De ludo globi; De non-aliud). Gleichwohl Cusanus Gott als das kategorial nicht faßbare absolutum ineffabile zum unaufhebbaren Relat der Schöpfungsidee der explicatio Dei sowie des "Deus (...) totus in omnibus" (Apologia doctae ignorantiae) erklärt, markiert die pantheistische Spur des "Deus est absque diversitate in omnibus, quia quodlibet in quolibet" (De docta ignorantia) zusammen mit einer zur "infinitas finita" entgrenzten Welt die neuzeitliche Umkehr im Ortungs- und Wertungsverhältnis von Transzendenz und Immanenz. Als Folge dieses antischolastischen De- und Rezentrierungsprozesses transformiert sich die republikanische Tendenz des räumlich und zeitlich akzentuierten "omnia ubique" und "omnia simul" zur kritischen wie affirmativen Repräsentanzfigur bürgerlicher Systemrealität. Begleitet wird diese Lesart von zahlreichen Diskursen zur Position des Zentrums: als dessen immanente Allgegenwart, als parataktische Konfigura-tionsmitte oder als äquidistanter Attraktor in der Vermittlungsdichte des "Gleich nah zum Mittelpunkt". Trotz aller Differenzen der Figurenvielfalt bleibt die säkularisierte Zentrumsproblematik des ens a se ohne interpretatorische Klitterung oder Retheologisierung als ein Schwerpunkt der philosophischen und künstlerischen Reflexion im Zug der kopernikanischen Wende erkennbar: vom "centrum spatii immensi statuetur ubique" und "tutta in tutto" Giordano Brunos, von der Leibnizschen Monadologie ("toute Monade un miroir de l'univers"), der Mediationspräsenz der Arbeit des Begriffs bei Hegel und seiner Deutung des Kunstschönen im Sinnbild des "tausendäugigen Argus" einer "durchgängigen Beseelung (...) an allen Punkten" über das "große Zugleich" in Novalis' Naturphilosophie, den "Mitte"-Gedanken in Nietzsches Zarathustra, das Blickmotiv von Rilkes "Archaischem Torso Apollos" oder die Suspension des "alles ist überall" der Abelonenepisode des Malte Laurids Brigge bis zu den jetztbestimmten Intensitätsmodellen Adornos und Stockhausens. Mit dem Unterschied allerdings, daß die Thematik des "omnia ubique" bei Adorno ihrer monadischen Selbstgenügsamkeit enthoben ist und zu einem Atopos des Bilderlosen tendiert, der angesichts einer gegen ihr Emanzipationspotential verhärteten, profithörigen Ökonomie im Zeichen des Mangels und der Krisen und ihrer bürokratischen Stabilisierung ästhetisch wie soziologisch seiner positivistischen Immanenz wie seiner utopischen Transzendenz nach gedacht wird: als sinnleere Statik einer Kunst des "Gleich nah zum Mittelpunkt" und als deren vom Aufschub der Vermittlung und des Akzidentellen befreite Intensität ebenso wie als Sog der "totalen Gesellschaft" und als deren virtuell in der Omnipräsenz der Widersprüche liegende, den durchkapitalisierten Funktionalismus desintegrierende Transformationsenergie.

  2     Nikolaus von Kues, De docta ignorantia, in: Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Schriften, Hg. Leo Gabriel, Bd. I, Wien 1982, S. 393.

  3     Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Hg. Raymund Schmidt, Hamburg 1956, S. 140.

  4     Ebd., S. 145.

  5     Theodor W. Adorno, Vers une musique informelle, in: Quasi una fantasia, GS 16, S. 502.

  6     Ebd., S. 502f.

  7     Adorno, Schwierigkeiten, in: Impromptus, GS 17, S. 262f.

  8     Vgl. dazu Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 409.

  9     Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik, in: Theorie der neuen Musik, GS 18, S. 160.

10     Ebd., S.161.

11     Ebd.

12     Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik, GS 18, S. 162.

13    Adorno, Das Altern der Neuen Musik, in: Dissonanzen, GS 14, S. 159. Umgekehrt korreliert der Kritik am ontologischen Rückfall die am Effekt als der Verselbständigung der Mittel und technischen Details gegenüber der musikalischen Logik, eine Kritik, die Adornos Wagner- und Strauss-Rezeption mit seiner Analyse kulturindustrieller Produktionen als kleinster gemeinsamer Nenner verbindet (vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, GS 3, S. 146f.).

14     Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 124.

15     Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik II, Werke in zwanzig Bänden, Hrsg. Eva Moldenhauer, Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1969, Bd. 6, S. 124.

16    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 210.

17    Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 417f.  18    Ebd.

19    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 123.

20    Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 413.

21    Adorno hat diese Relation etwa an Kant unter dem Aspekt skizziert, "daß durch den ansteigenden Prozeß der Verlegung der Erkenntnissubstanz aus dem Gegenstand in das auf sich selbst reflektierende Subjekt gleichsam dem Objekt immer mehr entzogen wird, daß es immer mehr als ein Starres, Verhärtetes zurückbleibt" (Adorno, Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. o. J., S. 218). Zur Partizipation des "subjektiven Vermitteltseins" der Kunstwerke am "universalen Verblendungszusammenhang von Verdinglichung" vgl. Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 252.

 22    Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild, in: Quasi una fantasia, GS 16, S. 398.

 23    Vgl. etwa Adorno, Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 366; Ästhetische Theorie, GS 7, S. 363; Mahler. Eine musikalische Physiognomik, GS 13, S. 241f.; Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 412f.; Der getreue Korrepetitor, GS 15, S. 198f.; Kriterien der neuen Musik, in: Klangfiguren, GS 16, S. 189; Fragment über Musik und Sprache, in: Quasi una fantasia, GS 16, S. 253; Form in der neuen Musik, in: Musikalische Schriften III, GS 16, S. 612f.

24    Vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Werke in zwölf Bänden, Hg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt/M. 1968, Bd. XII, S. 433, sowie Johannes Bauer, Souverän und Untertan. Kants Ethik und einige Folgen, in: Spuren. Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft, Nr. 34/35 (1990), S. 47ff.

25    Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 417.

26  Ebd., S. 412.

27    Adorno, Mahler, GS 13, S. 241.

28    Adorno, Form in der neuen Musik, GS 16, S. 612.

29    Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 412.

30    Adorno, Mahler, GS 13, S. 241.

31    Vgl. Adorno, GS 6, S. 184-207; GS 7, S. 217, 248-253, 382-384; GS 10.2, S. 741ff.

32    Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884-1885, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Hrsg. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York 1980, Bd. 11, S. 565, 635, 638.

33    Hegel, Phänomenologie des Geistes, WW Bd. 3, S. 492.

34    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 35.

35    Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 590f.

36    Adorno, Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins, in: Noten zur Literatur, GS 11, S. 486.

37    Ebd., S. 471.

38    Adorno, Negative Dialektik, GS 6, S. 139.

39    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 489f.

40    Johann Wolfgang Goethe, Faust II, Goethes Werke in 14 Bänden, Hg. Erich Trunz, München 1976, Bd. III, S. 193.

41    Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild, GS 16, S. 403.

42    Ebd., S. 385.

43    Ebd., S. 386.

44    Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 418.

45    Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild, GS 16, S. 387.

46    Ebd.

47    Ebd., S. 387f.

48    Ebd., S. 388. Daß Adorno den Anspruch qualitativ artikulierter Zeit auch für die Avantgarde nach 1945 beibehält, belegt sein Aufsatz Vers une musique informelle, GS 16, S. 518: "Das zeitlich Aufeinanderfolgende, das die Sukzessivität verleugnet, sabotiert die Verpflichtung des Werdens, motiviert nicht länger, warum dies auf jenes folge und nicht beliebig anderes. Nichts Musikalisches aber hat das Recht auf ein anderes zu folgen, was nicht durch die Gestalt des Vorhergehenden als auf dieses Folgendes bestimmt wäre, oder umgekehrt, was nicht das Vorhergehende als seine eigene Bedingung nachträglich enthüllte. Sonst klaffte die zeitliche Konkretion von Musik und ihre abstrakte Zeitform auseinander."

49    Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild, GS 16, S. 388.

50    Adorno, Vers une musique informelle, GS 16, S. 526f.

51    Zum Problem "präskriptiver Kategorien" in Adornos Versuch über Wagner sowie der Philosophie der neuen Musik vgl. Martin Zenck, Phantasmagorie - Ausdruck - Extrem. Die Auseinandersetzung zwischen Adornos Musikdenken und Benjamins Kunsttheorie in den dreißiger Jahren, in: Adorno und die Musik. Studien zur Wertungsforschung, Bd. XII, Hg. Otto Kolleritsch, Graz 1979, S. 202ff.

52    Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild, GS 16, S. 387f.

53    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 162.

54    Ebd., S. 161f. Deshalb nähern sich zahlreiche Problematisierungen von Adornos Materialverständnis, die seine Theorie des Ausdrucks und deren begrifflich irreduzibles Leidmoment unberücksichtigt lassen, häufig einer einseitigen Debatte um Adornos angeblich aporetisches Fortschrittsmodell der ästhetischen  Produktivkräfte (vgl. etwa Peter Bürger, Vermittlung - Rezeption - Funktion. Ästhetische Theorie und Methodologie der Literaturwissenschaft, Frankfurt/M. 1979, S. 87ff., oder Christoph Menke, Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida, Frankfurt/M. 1991, S. 159ff.).

 55    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 163.

 56    Ebd., S. 145.

 57    Ebd., S. 153 u. 179.

 58    Ebd., S. 125f.

 59    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 65.

60    Bezeichnenderweise zitiert die Philosophie der neuen Musik folgenden zentralen Satz der Hegelschen Ästhetik als Motto: "Denn in der Kunst haben wir es mit keinem bloß angenehmen oder nützlichen Spielwerk, sondern (...) mit einer Entfaltung der Wahrheit zu thun."

61    Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, WW Bd. 13, S. 199.

62    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 118f.

63    Ebd., S. 118.

64    Vgl. dazu exemplarisch Kants Typologie des "Organismus", demonstriert an einem solchen "Produkt der Natur" und seinem "organisierten und sich selbst organisierenden Wesen", "in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist", erweitert schließlich zur "Analogie" zwischen den "Naturzwecken" und der "Organisation" des "Staatskörpers". "Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck, und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum, seiner Stelle und seiner Funktion nach, bestimmt sein" (Kant, Kritik der Urteilskraft, WW Bd. X, S. 322f.).

65    Aristoteles, Poetik, Hrsg. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 29: "Ferner müssen die Teile der Geschehnisse so zusammengefügt sein, daß sich das Ganze verändert und durcheinander gerät, wenn irgendein Teil umgestellt oder weggenommen wird. Denn was ohne sichtbare Folgen vorhanden sein oder fehlen kann, ist gar nicht ein Teil des Ganzen."

66    Vgl. dazu Johannes Bauer, Rhetorik der Überschreitung. Annotationen zu Beethovens Neunter Symphonie, Pfaffenweiler 1992, S. 119ff.

67    Exemplarisch dafür sind Kleists Briefe aus dem Jahr 1801 an Wilhelmine von Zenge mit ihren ostinaten Äußerungen über das "blinde Verhängnis", den "Zufall", den 'unbegreiflichen Willen', der "über die Menschengattung waltet", und mit ihrer Verzweiflung über die Aporie der Moral inmitten der 'tausendfältig verknüpften und verschlungenen Dinge der Welt' (Heinrich von Kleist, Briefe, München 1964, S. 170, 207, 209).

68    Stéphane Mallarmé, Un coup de dés, Préface, in: Mallarmé, Sämtliche Dichtungen, München 1992, S. 222.

69    Mallarmé, Verskrise, in: Mallarmé, Sämtliche Dichtungen, S. 285.

70    Ebd.

71    Auch das nachgelassene Beethoven-Fragment Adornos (Beethoven. Philosophie der Musik, Hg. Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. 1993) zeigt deutliche Spuren dieses Totalitätsverdikts im Sinn einer "Kritik des heroischen Klassizismus". Damit soll jedoch in keiner Weise die leitmotivische Bedeutung Beethovens in Adornos Musikästhetik relativiert werden, eine Bedeutung, auf die hinsichtlich der Philosophie der neuen Musik Carl Dahlhaus aufmerksam gemacht hat (Dahlhaus, Zu Adornos Beethoven-Kritik, in: Materialien zur ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. Konstruktion der Moderne, Hrsg. Burkhardt Lindner und W. Martin Lüdke, Frankfurt/M. 1979, S. 504).

72    Vgl. Adorno, Musikalische Schriften I-III, GS 16, S. 589, 623, 662f., wo das Motiv des "Alles gleich nah zum Mittelpunkt" ausdrücklich mit dem der "Präsenz in jedem Augenblick" und dem der "Intensität" verbunden wird, schließlich mit dem Begriff einer Musik, "in der die Gegenwärtigkeit eines jeden Augenblicks (...) die Gestaltung nach Erwartung und Erinnerung überwiegt".

 73    Adorno, Minima Moralia, GS 4, S. 78. Anläßlich der Disposition der Ästhetischen Theorie besteht Adorno gegen die Gradation induktiver und deduktiver Verfahren und deren argumentativen Aufschub auf der parataktischen Fügung von "gleichgewichtig[en] Teilkomplexen", die "konzentrisch angeordnet" in ihrer "Konstellation", nicht in ihrer "Folge" die Idee ergeben, gruppiert "um einen Mittelpunkt", "den sie durch ihre Konstellation ausdrücken" (zit. n. d. Editorischen Nachwort zu Adornos Ästhetischer Theorie, GS 7, S. 541). Generell kann vom Ende der Metaphysik her das Modell der Konfiguration als der diskursiv entfaltete Fragmentcharakter verstanden werden, nachdem die schwindende Kohäsionskraft des göttlichen Signifikanten Schrift wie Sprache in ein seinen Partikularurteilen nach infinites Schreiben und Sprechen mit der Physiognomie des Bruchstückhaften entlassen hatte. So zeigt sich schon bei Nikolaus von Kues die Dialektik der Zentrierung und Dezentrierung, sofern die monadische Allgegenwart des Mittelpunkts im "omnia ubique" zugleich den Gedanken eines Mittelpunkts sensu stricto ad absurdum führt. "Neque etiam est ipsum mundi centrum plus intra terram quam extra, neque etiam terra ista neque aliqua sphaera habet centrum." (Nikolaus von Kues, De docta ignorantia, S. 392f.). Das Paradox der Moderne, mit der Sprache gegen die Sprache zu sprechen, "mit Begriffen auf[zu]sprengen, was in Begriffe nicht eingeht" (Adorno, Noten zur Literatur, GS 11, S. 32), mit der Musik gegen die Musik zu komponieren, schließlich: in der Gesellschaft gegen die Gesellschaft zu existieren, ist nur ein anderer Ausdruck für den circulus vitiosus der Immanenz, in dem Fragmentcharakter und geschlossenes System miteinander korrelieren. Übrigens verstehen sich auch Stockhausens "Momentformen" als solche, die "immer schon angefangen haben und unbegrenzt so weitergehn könnten" (Karlheinz Stockhausen, Momentform. Neue Zusammenhänge zwischen Aufführungsdauer, Werkdauer und Moment, in: Stockhausen, Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik, Köln 1963, Bd. I, S. 199).

74    Hegel, Wissenschaft der Logik I, WW Bd. 5, S. 66.

75    Adorno, Minima Moralia, GS 4, S. 78.

76    Vgl. dazu auch Adorno, Einleitung zu Benjamins Schriften, in: Noten zur Literatur, GS 11, S. 578: "Denn die Benjaminsche Idee in ihrer Strenge schließt wie Grundmotive so auch deren Entwicklung, Durchführung, den ganzen Mechanismus von Voraussetzung, Behauptung und Beweis, von Thesen und Resultaten aus. So wie die Neue Musik in ihren kompromißlosen Vertretern keine 'Durchführung', keinen Unterschied von Thema und Entwicklung mehr duldet, sondern jeder musikalische Gedanke, ja jeder Ton darin gleich nahe zum Mittelpunkt steht, so ist auch Benjamins Philosophie 'athematisch'. Dialektik im Stillstand bedeutet sie auch insofern, als sie in sich eigentlich keine Entwicklungszeit kennt, sondern ihre Form aus der Konstellation der einzelnen Aussagen empfängt. Daher ihre Affinität zum Aphorismus." Entsprechend sind auch dem Essay "alle Objekte gleich nah zum Zentrum (...): zu dem Prinzip, das alle verhext" (Adorno, Der Essay als Form, GS 11, S. 28).

77    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 228.

78    Stockhausen, Momentform, S. 198f. Das Motiv einer in jedem Zeitpunkt präsenten Ewigkeit findet sich gleichfalls als eine Lesart des "omnia ubique" im Trialogus de possest des Nikolaus von Kues (Philosophisch-theologische Schriften Bd. II, S. 292f.), als der Gedanke nämlich, "quomodo (...) non repugnare aeternitatem simul totam esse in quolibet puncto temporis".

79    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 61. Im Fall der Zwölftonmusik und ihres Anspruchs, "in all ihren Momenten gleich nah zum Mittelpunkt zu sein" (ebd., S. 73), entäußert sich die Zwitterhaftigkeit von harmonischer Deterritorialisierung und traditionellem Formkanon zur spannungsvollen Diskrepanz zwischen dem hermetischen Integral des Reihenmodells und der Extensität kompositorischer Entwicklung. Die dadurch trotz der Systemstatik der Zwölftontechnik freigesetzte Dynamik des Bruchs aber desavouiert nach Adorno als eine der "Not der Fortsetzung" (ebd.) und "bloßen Ableitung" die Intention, "wahrhaft in jedem Augenblick gleich nah zum Mittelpunkt sich zu halten", und läßt sie als "Möglichkeit der formalen Artikulation erscheinen". "Das Abfallen aller Zwölftonmusik nach prägnanten Reihenexpositionen spaltet sie in Haupt- und Nebenereignisse", ähnlich dem Verhältnis von Thema und Durchführungsarbeit (ebd., S. 98). Das bedingt letztlich den Konflikt zwischen der formenden Geste des Komponisten, ihren im Werk objektivierten Ausdrucksfacetten, und dem "absichtsvoll-generellen, fast gleichgültigen Zuschnitt der früheren Zwölftonthematik" (ebd.) als eine unversöhnliche Kluft zwischen System und Imagination.

80    Adorno, Negative Dialektik, GS 6, S. 73.

81    Ebd., S. 265.

82    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 67.

83    Ebd.

84    Adorno, Vers une musique informelle, GS 16, S. 527.

85    Ebd.

86    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 70.

87    Ebd., S. 68.

88    Adorno, Vers une musique informelle, GS 16, S. 527.

89    Adorno, Das Altern der Neuen Musik, GS 14, S. 165.

90    Adorno, Schwierigkeiten, GS 17, 270f.

91    So kann Dahlhaus gar von der Philosophie der neuen Musik als von einem Exkurs zur Dialektik der Aufklärung sprechen (Carl Dahlhaus, Vom Altern einer Philosophie, in: Adorno-Konferenz I983, Hrsg. Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas, Frankfurt/M. 1983, S. 137).

92    Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, GS 3, S. 34.

93    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 489.

94    Ebd., S. 228.

95    Adorno, Das Altern der Neuen Musik, GS 14, S. 159f.

96    Ebd., S. 161

97    Ebd., S. 161f.

98   "György Ligeti hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß im Effekt die Extreme der absoluten Determination und des absoluten Zufalls zusammenfallen" (Adorno, Schwierigkeiten, GS 17, S. 270f.).

99     Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 77.

100   "Absolute, in sich unterschiedslose Dynamik würde abermals zu einem Statischen" (Adorno, Vers une musique informelle, GS 16, S. 518).

101   Adorno, Über Statik und Dynamik als soziologische Kategorien, in: Soziologische Schriften I, GS 8, S. 235.

102   Vgl. Michel Foucault, Schriften zur Literatur, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1979, S. 121, sowie insbesondere auch das letzte Kapitel der Ordnung der Din​ge. Daß die "Kategorie des Subjekts" als "Kern einer Interpretation der Gesellschaft der Entfremdung" mit der 'Zeugenschaft' der Kunst, schließlich als Zentrum der "gesamten Theorie des Ausdrucks" für Adorno "unkritisiert" bleibe, stabilisiere in dessen Denken Lyotard zufolge die dialektische Falle (Jean-François Lyotard, Adorno come Diavolo, in: Lyotard, Intensitäten, Berlin o. J., S. 36.). Dagegen würde erst die Aufgabe des überlieferten Repräsentationsmodells und der Subjekttheorie zur Verabschiedung des ethischen Instrumentariums und seiner Antagonismen führen. "Wir haben gegenüber Adorno den Vorteil, in einem Kapitalismus zu leben, der energischer, zynischer, doch weniger tragisch ist. Er macht alles zur Repräsentation (...). Die Parodie tritt an die Stelle des Tragischen, die Libido zieht ihre Besetzungen von der Bühne zurück" (ebd., S. 36f.).

103    Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, Kritische Studienausgabe Bd. V, S. 295.

104    Ebd., S. 318.

105    Ebd., S. 298.

106    Heinz-Klaus Metzger, John Cage oder die freigelassene Musik, in: Musik-Konzepte, Sonderband John Cage, München 1978, S. 8. Metzger argumentiert in seinem Aufsatz unter anderem mit Adornos Minima Moralia-Aphorismus "Moral und Zeitordnung".

107    Zum letalen Index von Schrift und Zeichen im Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung und Vergessen vgl. Platon, Phaidros, Sämtliche Werke in zehn Bänden, Hg. Karlheinz Hülser, Bd. VI, Frankfurt/M. 1991, S. 135ff., sowie Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt/M. 1974, S. 120ff.

108    Adorno, Negative Dialektik, GS 6, S. 34.

109    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 217.

110    Ebd., S. 219.

111    Ebd., S. 217.

112    Vgl. ebd.

113    Daniel Charles, John Cage oder Die Musik ist los, Berlin 1979, S. 43.

114    Ebd., S. 43f.

115    Adorno, Über Statik und Dynamik als soziologische Kategorien, GS 8, S. 230f. An Kafka wird evident, etwa in der Erzählung vom "Urteil", wie eine patriarchale Schuld-Mnemonik das Gedächtnis des Sohnes zersetzt und damit verhindert, ihrem Bann zu entrinnen: mehrmals und mit tragischer Konsequenz fällt das entscheidende Wort vom "Vergessen". Steht dieses Motiv in der literarischen Tradition des Vater-Sohn-Konflikts, so tritt auch reflexionsgeschichtlich - nun im Zeichen einer Überwindung - der Zerfall der Hegelschen Weltexegese als der Summe eines hermeneutischen Übervaters in eine mnemonische Spannung zum genealogisch-kritischen Denken des 19. Jahrhunderts: zur Erinnerungsarbeit gleichsam einer Philosophie der Söhne gegen die amnestischen Leerstellen im System des absoluten Geistes; in Feuerbachs Religionskritik ebenso wie in Marx' Ökonomie- oder Nietzsches Erkenntnis- und Moralkritik.

116    Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 86.

117    Ebd., S. 387.

118    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 125f.

119    Vgl. Adorno, Negative Dialektik, GS 6, S. 29: "Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit."

120    Lyotard, Intensitäten, S. 46f.

121    Dahingestellt sei, inwieweit sich nicht doch das Ethos einer ihren Exegeten nach repräsentanzlosen Musik durchsetzt, so daß etwa das Klavierkonzert von Cage, das "als Gesetz unerbittliche Zufälligkeit sich auferleg[t]", "dadurch etwas wie Sinn: den Ausdruck von Entsetzen" empfängt (Adorno, Ästhetische Theorie, GS 7, S. 231). Da somit der demolierte Sinn nicht zwangsläufig in Positivismus umschlägt, kann dieses Zitat als ein Beispiel der Ambivalenz Adornos Cage gegenüber gelten. Daß aber obige Stelle den Eindruck erweckt, "als habe Adorno die wahren Dimensionen der Cageschen Anarchie nicht erkannt" (Hans-Klaus Jungheinrich, Die "Ästhetische Theorie" - wiedergelesen, in: Nicht versöhnt. Musikästhetik nach Adorno, Hg. H.-K. Jungheinrich, Kassel 1987, S. 51), kann in dieser Ausschließlichkeit nur behauptet werden, wenn die Dialektik zwischen der kompositorischen Intention und ihrer ästhetischen Objektivation außer acht bleibt.

122   Zur Kritik dieses neuen Pluralismus im Kontext "objektiver Amnesie" und einer "Barbarei des Vergessens" vgl. Martin Blumentritt, Adorno, der Komponist als Philosoph, in: Musik-Konzepte 63/64 (Theodor W. Adorno. Der Komponist), München 1989, S. 8ff.

123    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S. 124f.

124    Ebd.

125    Adorno, Vers une musique informelle, GS 16, S. 540. Vgl. Paul Valéry, Windstriche, Frankfurt a. M. 1971, S. 94: "Das Schöne erfordert vielleicht die sklavische Nachahmung dessen, was in den Dingen unbestimmbar ist."

126    Diese Implikation dürfte im Fall Adornos relativieren, was Albrecht Wellmer (Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno, Frankfurt/M. 1985, S. 63) als das "Auseinanderreißen von Semiotik und Energetik" einer "reinen Wahrheitsästhetik" bei Adorno und einer "rigorosen Wirkungsästhetik" bei Lyotard kritisiert, um statt dessen das "ästhetische Objekt" als ein "Kraft- und Spannungsfeld, aber auf der Ebene des Sinns" zu begreifen und als einen "Sinnzusammenhang, dessen verstehender Nachvollzug einer Abstrahlung von Energie gleichkommt: Kunst als zweite Natur, aber eine Natur, die zu sprechen beginnt".

127    Ob aber eine "informelle Musik" des radikalen "Odi profanum" gemäß Adornos Forderung, daß "innerhalb der totalen

gesellschaftlichen Verblendung (...) nur das seinen richtigen gesellschaftlichen Ort [hat], was der Kommunikation aufsagt" (Adorno, Vers une musique informelle, GS 16, S. 538), den letzten Rest ihrer Anpassung und ihre Ohnmacht ertragen kann, bleibt offen. Womöglich bestätigt sie gerade im Betrieb des Komponierens, gleichsam hinter dem Rücken der Produzenten, Hegels These vom Vergangenheitsstatus der Kunst. Dies wäre dann der prozessual gesellschaftliche Kontrapunkt zu Bulthaups Urteil: "Der Versuch, Musik zu retten, unterwirft sie der Ideologie, der Affirmation des Bestehenden, sie preiszugeben verriete mit seiner Objektivation das Bedürfnis der Subjekte, das mit dem Bestehenden nicht sich zufrieden geben kann. So bleibt die Musik auf der Strecke." (Peter Bulthaup, Ernstfall und Allotria. Überlegungen zum Verhältnis von Reflexion und Kunst, in: Musik-Konzepte 63/64: Theodor W. Adorno. Der Komponist, S. 7). Ferner mag nicht verwundern, daß Morton Feldman, ohne auf Adornos Gedanken vom Barbarischen einer Lyrik nach Auschwitz zu rekurrieren, davon sprach, "daß es nach Hitler vielleicht keine Kunst mehr geben sollte. (...) Es war Heuchelei, ein Wahn weiterzumachen, denn jene (sc. ästhetischen) Werte haben sich als wertlos erwiesen. Es fehlt ihnen die moralische Basis. Und was sind unsere Moralbegriffe in der Musik? Sie sind begründet in der deutschen Musik des 19. Jahrhunderts" (Morton Feldman, Earle Brown, Heinz-Klaus Metzger, Aus einer Diskussion, in: Musik-Konzepte 48/49: Morton Feldman, München 1986, S. 154). Zu erinnern bleibt jedoch, daß Adorno immer wieder Vorstellungen und Tendenzen einer falschen "Abschaffung der Kunst" zurückgewiesen hat.

128    Adorno, Philosophie der neuen Musik, GS 12, S.121.

129    Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik, GS 18, S. 162.

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