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Rhetorik der Überschreitung

Annotationen zu Beethovens Neunter Symphonie

Musikwissenschaftliche Studien, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Bd 8,

Centaurus-Verlagsgesellschaft, 230 Seiten, ISBN 3-89085-260-2

 

Beethovens symphonisches Chef d'oeuvre verliert sich im Traditionsschutt ideologischer Vereinnahmungen. Entgegen dieser Hypothek insistiert die vorliegende Monographie auf der Affinität der Komposition zum Reflexions­spektrum des deutschen Idealismus. Mit dem Nachweis, daß das musikalische Denken des Werks zentralen Ideen und Methoden der Philosophie Kants, Schillers, Fichtes und Hegels korrespondiert, thema­tisiert der Autor Beethovens Neunte Symphonie erst­mals im Rahmen einer umfassenden Deu­tung ihrer Ausdrucks- und Sinncharaktere: durch eine am historischen Kontext orientierte Dechiffrierung der kompositorischen Rhetorik und ihrer pro­grammatischen Leitbahn aus dem Geist der musikalischen Faktur. Ermög­licht doch dieses herme­neutische Regulativ die Präzisierung der Zeitdiagnose und des Humanitätsprinzips der Komposi­tion. Somit ein Verständnis ihrer antagonistischen Signatur, ihrer Zentrierung um die Ästhetik des Tragischen und Erhabenen, der wechselseitigen Kohärenz der vier Satzstadien oder der Wirkung des idealistischen Sublimierungskanons auf das Konstruktionsgefüge. Zugleich schärfen sich der Analyse über die Differenz zwischen der imagi­nativen Logik der Tonsprache und der kausalen des Begriffs jene subversi­ven Kräfte der Musik, die die Legierung von Finalität und Ethos immer wie­der aufrauhen. Sie entziehen das ideelle Movens des Werks von der Per­fektibilität der Geschichte der Euphorie der Verbürgtheit und dem An­kunftstriumph und entrücken es mit der Diktion des Appells zur Fragilität und Offenheit eines Postulats. Gezeigt wird, wie die zerrüttenden und ver­störenden Impulse gegen die Mnemonik des Formgesetzes, ge­gen das Integral des prozessualen Telos, gegen die Ökonomie des tonalen Systems und schließlich gegen den Schein ästheti­scher Homogenität auf eine Erschütterung des Auditoriums zielen, indem sie die prosaische Wirklichkeit über ihre restau­rative Epo­chensignatur hinaus artikulieren und zu transzendieren suchen. Daß aber gerade die Dynamik der dissonanten Strukturen Beethovens Intention trägt, das Publikum sympathetisch einer Dramaturgie der Emanzipation zu inte­grieren, versteht die Studie als Aura der Neunten Symphonie - als die Faszination eines heroischen Mementos der Zerrissenheit und der Hoffnung inmitten einer Gesellschaft gefesselter Alltäglichkeit.

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