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Blogbeiträge (13)

  • Kleiner Steckbrief (in eigener Sache)

    Johannes Bauer, Stereotypie/Entropie (Computergrafik 2020) Philosophie, Ästhetik, Malerei Philosophie und Ästhetik Meiner philosophischen Arbeit geht es unter dem Realitätsgebot des Wirklichen um das Potenzial des Möglichen: Um den Widerstand des Unverfügbaren - gegen die Austreibung des scheinbar Nutzlosen durch technische Verwertungsoffensiven; um die Ressource kreativer Fantasie - gegen die Nivellierung der schöpferischen Einbildungskraft in einer Welt der schnelligkeitstrainierten Wahrnehmungs- und Funktionsmuster; schließlich um die Eigenzeit des Denkens - gegen die Praxisbesessenheit von Arbeitseffizienz und Rendite. Randgänge in den Bereich von Logik und Sinngebung und damit von Bedeutung und Nicht-Bedeutung verstehe ich als einen von zahlreichen Kompositions- und Reflexionspraktiken der zeitgenössischen Musik und Malerei inspirierten Beitrag zu einer ästhetisch fundierten Philosophie der Moderne.[1] Die philosophische Skepsis gegenüber der Deutungskraft des Begriffs bestimmt bereits meine Arbeit zu Beethovens Neunter Symphonie.[2] Indem deren "musikalische Formulierungen mit einer Fülle philosophisch-literarischer Formulierungen von Beethovens Zeitgenossen" konfrontiert werden, deren Substanz auch dem musikalischen Denken des Komponisten zugrunde lag, versucht die Monographie in einer "methodologische[n] Tour de force", wie Georg Knepler schreibt[3], Korrespondenzen zwischen dem musikalischen und begrifflichen Denken zu analysieren, ohne die philosophische Argumentation mit dem Tiefengehalt der Musik zu verwechseln. "Musikalische Sachverhalte" werden als "philosophische" gelesen und "philosophische musikalisch" exemplifiziert. Unter diesem Aspekt wird die Neunte Symphonie, so Peter Gülke, als "'tätige Philosophie' begriffen". "Wie Adornos wenig später erschienene Beethoven-Notizen belegen Bauers Untersuchungen, was von 'links'" für ein „adäquates Beethoven-Verständnis geleistet worden ist und weiter geleistet wird."[4] Dass Sprache im digitalen Zeitalter zunehmend als reine Gebrauchssprache verstanden wird, verhindert die Einsicht in ihre Grenzen und damit in die Grenzen eines Diskurses, dessen Verzahnung von Syntax, Logik und Urteil immer mehr um den Wahrheitsgehalt bloßer Information kreist. Wenn sich alles rechnen muss, verwandelt sich schließlich auch die Sprache in eine rastlose Urteilsmaschinerie, der die Besinnung auf ein weit weniger formalisiertes Sprechen abhanden kommt. Ich will keineswegs die Gebrauchssprache durch experimentelle Sprachspiele ersetzt wissen, vielmehr die Defizite und Ausschlussverfahren der Gebrauchssprache anhand ihrer Überschreitungen bewusst machen. Erst die Überschreitung einer grundsätzlich auf der Logik von Aussagesätzen basierenden Sprache lässt deren Sinnprägung als Abschottung gegen jede andere Ordnung von Sprache und Schrift bewusst werden. Was aber den gewohnten Akten von Sprechen und Schreiben aufgrund der Allianz von Grammatik, Logik und Wahrheit entgeht, bedeutet für mich im Gegenzug, dass genau diese Allianz regelt, was wahrgenommen und nicht wahrgenommen, was gedacht und nicht gedacht werden kann. Erst im Aufbrechen einer Textlogik, die Folge und Folgerung, Sequenz und Konsequenz zur Deckung bringt, werden Schrift und Sprache auf die Rückseite ihrer geläufigen Textur im Weben und Knüpfen von Sinnspuren hin durchlässig. Sagbares, Unsagbares, Lesbares, Unlesbares: wo verläuft die Grenze? Und wie weit kann die Syntax entregelt werden, ohne ins Belanglos-Beliebige abzugleiten? [5] Im Wechselspiel zwischen Philosophie und Dichtung widmet sich meine Auseinandersetzung mit "Goethes musikalischem Denken" der "Musik als poetologischem Vorbild für eine L'art-pour-l’art-Poetik avant la lettre". "Im Anschluss an Adornos auf Goethes 'Klassizismus' gemünztes Diktum von einer 'gewaltlosen' Rede, in der sich der 'Krampf des Wortes' löse, skizziert Bauer eine spielerische Poetik Goethes, die bewusst Mehrdeutigkeiten erzeuge und sich damit als Kritik jener 'Identifikationssucht des Urteils' mit ihrer 'zweiwertige[n] Logik des Richtig und Falsch' lesen lasse". "Aus dieser Blickrichtung erscheint Goethes von Bauer postuliertes Misstrauen gegenüber der 'Besetzungs-, der Besatzungskraft des Satzes'" als eine "frühe Form der Alteritäts-Poetik" und "erhellt" damit eine "wichtige Facette in Goethes Poetologie".[6] (Wie ich selbst eine Umformung der syntaktischen Kausallogik in Szene setze, zeigt die Sprechpartitur Atmen, die 2008 vom Ensemble Maulwerker in Berlin uraufgeführt wurde.) (Johannes Bauer, Sprechpartitur Atmen für das Ensemble "Die Maulwerker" zu Beethovens Cavatina und Heinz Holligers Erstem Streichquartett), Uraufführung: Berlin 2008[Ausschnitt]. Meine Arbeiten sind Heideggers Metaphysikkritik insofern verpflichtet, als dessen Hermeneutik der Sprache zwischen Weltverschließung und Welterschließung den Übergang vom Begründungsdiskurs der Philosophie zum Ereignisdiskurs des Denkens vollzieht, von der kausallogischen Abdichtung der Sprache hin zu einem vieldeutig offenen Entstehen ihrer Bedeutungsstruktur und deren bisweilen subjektferner Weitung. Dieser Übergang ist jenem Wandel vergleichbar, der für die Malerei und Musik der späten Moderne mit ihrer Abkehr vom Abbild- und Organismusmodell entscheidend ist.[7] Parallelen zwischen Heideggers Kritik des Erlebnisses und zahlreichen Kompositionen Neuer Musik, die sich der narzisstischen Spiegelfunktion des Hörens entziehen, liegen auf der Hand. Dass diese Abkehr von einer Ästhetik der Einfühlung für Heidegger einen Weg ins Offene weist - jenseits des subjektzentrierten Ideenrepertoires des abendländischen Humanismus -, spricht für die Brisanz einer Philosophie, deren Gedanken zur Erfahrung der Gelassenheit, der Leere, der Zeit und des Todes ebenfalls einer grundlegenden Intention der Malerei und der Musik des späten 20. Jahrhunderts korrespondieren: nämlich der Intention, das Kunstwerk den transzendenzlosen Spuren des Daseins in seiner Hinfälligkeit nicht selten bis zur Auflösung der materialen und damit ästhetischen Konsistenz auszusetzen.[8] © Johannes Bauer, Oydssee / Nekyia (2017), 53,3 x 45 cm, Acryl auf Papier Nachweise 1 Johannes Bauer: Ränder. Zur Philosophie des Peripheren und Marginalen. In: Gisela Nauck (Hrsg.): …an den Rändern des Maßes… Der Komponist Gerald Eckert. Wolke-Verlag, Hofheim 2013, idn=1030337055 (d-nb.info). 2 Johannes Bauer: Rhetorik der Überschreitung. Annotationen zu Beethovens Neunter Symphonie. In: Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.): Musikwissenschaftliche Studien. Band 8. Centaurus Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1992, ISBN 978-3-89085-260-7. 3 Georg Knepler: Musiktheorie. In: Annette Kreutziger-Herr, Theorie der Musik : Analyse und Deutung (Hrsg.): Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft. Band 13,1995, ISBN 978-3-89007-308-8 (d-nb.info). 4 Peter Gülke: Grenzüberschreitung. In: Musica. Nr. 3. Bärenreiter, 1996, ISSN0027-4518, S. 220 f. 5 Johannes Bauer: Text und Textur. In: Dissonanz. Nr. 91, 2005, S. 4 ff. - Zur Kontroverse um eine Delinearisierung des Linearen vgl. auch Stefan Drees: Plädoyer für den Text als linearen Diskurs. Zum Aufsatz »Text und Textur« von Johannes Bauer. In: Dissonanz/Dissonance Nr. 92, 2005, S. 39–40. 6 Stefan Börnchen: Basso continuo mit Quintparallelen. Neue Lieder und alte Weisen auf das Thema "Goethe und die Musik". 11. Dezember 2006 (iaslonline.de). 7 Johannes Bauer: Das Ungeheure und die Gelassenheit. Martin Heideggers Nähe zur Neuen Musik. SWR-Essay, 2010 (johannes-bauer-philosophie.com). 8 Johannes Bauer: Cage und die Tradition. In: Claus-Steffen Mahnkopf (Hrsg.): Mythos Cage. Wolke Verlagsgesellschaft, Hofheim 1999, ISBN 3-923997-87-6, S. 92 ff. (d-nb.info). 9 Johannes Bauer: Das Schweigen der Sirenen, Adornos Ästhetik und das Neue der Neuen Musik. In: Markus Fahlbusch / Adolf Nowak (Hrsg.): Musikalische Analyse und Kritische Theorie. Zu Adornos Philosophie der Musik. Hans Schneider, Tutzing 2007, ISBN 978-3-7952-1237-7, S. 303–324 (d-nb.info). 10 Hans-Klaus Jungheinrich: Adorno vergessen. Ein Frankfurter Kongress internationaler Musikologen. In: Frankfurter Rundschau. 1. Oktober 2003. 11 Johannes Bauer: Neue Musik und Naturwissenschaft. In: www.johannes-bauer-philosophie.com. Abgerufen am 25. März 2020 (deutsch). Malerei Im Gegensatz zur massenhaften Vermarktung abbild- und informationsfixierter Seh- und Sinnangebote geht es meiner Malerei nicht um weitere Abbilder, sondern um das Bild als ästhetisches Ereignis, das den Blick und seinen Erkenntnishorizont über die Norm fotografischer Visualisierungsmuster hinaus öffnet. Was ist real? Wo liegen die Grenzen des Sichtbaren? Was bleibt trotz aller Anschaulichkeit abstrakt und was macht die Brisanz des vermeintlich Gegenstandslosen und Abstrakten gegenüber der oft allzu glatten Oberfläche abbildhafter Darstellungen aus? Von dieser Perspektive aus suchen meine Bilder durch den Entzug des dinghaft Konkreten nach anderen Seh- und Denkweisen. Abseits vom Kurs eingefahrener Wahrnehmungsrouten und Erklärungsroutinen lädt Malerei dazu ein, im unberechenbaren Augenblick und im Grenzbereich zwischen dem Erkennbaren und Rätselhaften ebenso irritierende wie erhellende, ebenso befreiende wie abenteuerliche Reisen ins Unbekannte zu wagen. Schwerpunkte meiner künstlerischer Arbeit sind folglich neben Themenfeldern wie „Metamorphose“ oder „Entropie“ auch monochromatische Experimente und Schrifttexturen als Verunsicherung und zugleich als Verlockung eines visuellen Sicherheitsbedürfnisses, das immer noch auf eine möglichst eindeutige Identifizierung des Dargestellten ausgerichtet ist. Dass meine letzten Arbeiten - vor allem die des Homo-sapiens- und des Ilias-Zyklus - gegenständliche Figurationen einlassen, kann nur bedingt als eine Abkehr von der Abbildabstinenz gelten, zumal die schablonisierte Formgebung dieser Zyklen stets zwischen Abbild und Abstraktion changiert. Die Schablone als Manifestation archaischer Ausdrucksspuren im Homo-sapiens-Zyklus verweigert sich überdies einer Kunst der Einfühlung, während im Ilias-Zyklus die Modellierung durch die Schablone zu Strukturen führt, die das Abbildhafte des Sujets nahezu auflösen. Zyklen: Chroma (2011) Prometheus (2012) Schrift (2012–2016) Abschabungen (2013/14) Pompeji (2013/14) Entropie (2013/14) Belichtungen (2014) Homer (2017) Homo sapiens (2017) Judaica (2017) Fotografie (2018/19)

  • Beim Anblick einer Katze

    Rätselhaft, geheimnisvoll - die Augen einer Katze; Augen, deren Ausdruck sich nicht sprachlogisch auflöst. Fasziniert vom Ausdrucksrepertoire ihrer Pupillen, deren Wandlungsfähigkeit in einigen frühen Kulturen dem wechselhaften Mondzyklus verbunden bleibt, gleitet der menschliche Blick im Blick der Katze in die Fülle einer sprachlosen Sprache. "Pour dire les plus longues phrases, / Elle n'a pas besoin de mots", wie Baudelaires Fleurs du Mal diesen Sog in die offene Weite des Wortlosen vom Lautrepertoire der Katze her deuten: einen Sog, der nicht weniger die visuelle Physiognomie der "chat mystérieux" charakterisiert. Es ist diese vom Staunen getragene und gleichwohl um den Abgrund der Distanz zum Tier wissende Faszination, mit der sich Baudelaire in seinen Poèmes de chats von Rilkes hochgesteigerter Rühmung des Offenen im Wesen der tierhaften "Kreatur" (Achte Duineser Elegie) und von Heideggers auf das "Weltarme" des Tiers gestützten Einspruch gegen eine solche "Vermenschung" unterscheidet (Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, §§ 45ff.; Parmenides, GSA Bd. 54, S. 239). Metaphysisch gestützte Deutungen und ihre Fallhöhe verlieren bei Baudelaire ihr Gewicht zugunsten einer kreatürlichen Erfahrung zwischen Tier und Mensch, der Erfahrung nämlich, wie in einer Welt des zunehmenden Funktionalismus und seiner schnellen Reiz-Decodierung die expressive visuelle Kraft der Katze, mit der sie uns fixiert, in eine Meditatio hominis übergeht: Was heißt Leben, was Sprache, was Arbeit, was bedeutet, kurz gesagt, die Conditio humana vor einem Tier, das trotz aller partiellen Domestikation mit seinem archaischen Naturell das zivilisatorische Regelwerk von Kontrolle und Disziplin unbeirrt und gewaltlos durch eine leise Gegenbewegung des Ungebundenen grundiert? Die Katze - ein Wesen mit vielen Gesichtern. In ihrem Blick, der von weither kommt und einen Korridor in ferne Zeiten öffnet, brechen sich die Wüsten und Sternennächte Ägyptens und die Kulte der Bastet ebenso wie die Verteufelung der Katze im christlichen Kulturkreis, der das diabolische Tier seinem weiblichen Aspekt nach mit Hass und Abscheu überzieht und seine Dämonisierung schließlich im 13. Jahrhundert bei Berthold von Regensburg in einem etymologisch-ideologischen Kurzschluss sondergleichen festschreibt: im Synonym von Katze und Ketzer. Ihre auch in der Dunkelheit präzise Jagdtechnik von Anschleichen und Zugriff, ihre äußerst flexible Augen- und Ohrensensorik, ihre extreme Wendigkeit wird der Katze in einer Religion des sündhaft erstarrten Menschenbilds und der Unterwerfung unter die omnipräsent übermächtige Zeugenschaft Gottes allein schon von ihrem agilen Instinktrepertoire her zum Verhängnis. Der Eigensinn eines Tiers, das sich wegen seiner Befehlsresistenz nie zur Gänze besitzen lässt, das libertär promiske Wesen seiner Sexualität und seine Verbundenheit mit Nacht und Dunkelheit galten der christlichen Doktrin des Gehorsams, der Askese, der Verfallenheit des Fleisches und der Hoffnung auf das Licht der Erlösung als die Inkarnation satanischer Kräfte. Neben ihrer Affinität zum Peccatum mortale der Luxuria und der Superbia, der Wollust und des Stolzes, verkörpert und versinnbildlicht die Katze mit ihrem müßiggängerischen Habitus und ihrem Schlafbedürfnis dem Arbeitsethos des Christentums zufolge vor allem die Sünde der Acedia: Weder liefert die Katze Nutzprodukte - keine Milch, keine Eier, keine Wolle - noch vollbringt sie die effektiven Dienstleistungen anderer Haustiere. Einzig die Verwertung der toten Katze unterlag einer wirtschaftlichen Nutzung - vom Katzenfell über Katzengalle bis zum Katzendarm. Exorzistischen und apotropäischen Praktiken zufolge wurden Katzen lebendig eingemauert, vergraben und zusammen mit Hexen und Ehebrecherinnen gefoltert, verbrannt und ertränkt. Nicht umsonst wird im Malleus maleficarum, dem Hexenhammer von 1486, die Katze als "Sinnbild des Ungläubigen" dargestellt, Projektionsfläche für ein Pandämonium an Lastern, seien es die Mordlust der Beutegier oder die Eitelkeit der Putzsucht, wobei der Katze noch die List und Schlauheit ihrer Jagdstrategie als Falschheit und Verschlagenheit ausgelegt wurden. Erst im Zug der modernen Arbeits- und Leistungsimperative nimmt das Wesen der Katze die Eigenschaft jener Weisheit und Gelassenheit an, in deren Namen Baudelaire Eulen und Katzen als Nachttiere der großen, weitsichtigen Augen im 66. und 67. Gedicht der Fleurs du Mal zu Wesensverwandten erklärt und die Katze vom Makel des Teuflischen ins ‘Engelhafte’ entrückt. Und wenn das christliche Mittelalter in Unkenntnis des Tapetum lucidum, der hinter der Netzhaut liegenden reflektierenden Gewebeschicht, verantwortlich für das Widerleuchten des Katzenauges im Dunkeln, die unheimlich aufglühenden Augen der Katze als weiteres Indiz für deren höllenhaftes Stigma verbucht, werden die Kristalle und Farbpigmente des Tapetum lucidum und sein Farbspektrum bei Baudelaire zum "Goldgesprenkel, das wie Sand so fein, Besternt der Blicke rätselhaften Schein" ("Et des parcelles d'or, ainsi qu'un sable fin, / Etoilent vaguement leurs prunelles mystiques.") Zugleich rückt die sinnende Katze, die in den Fleurs du Mal "wie eine Sphinx am Grund der Einsamkeiten (au fond des solitudes) in Schlummer sinkt" und in "Träume, die nie enden (dans un rêve sans fin)"(1), mit dieser meditativen Ruhe der Versunkenheit in die Nähe jener Schwermut, die bereits bei Shakespeare zur Sprache kommt: "I am as melancholy as a gib cat" (Shakespeare, King Henry IV, First Part I, 2). Steht jedoch die Katze, ein Tier des Pianissimo, auf ihren sprichwörtlichen Samtpfoten plötzlich - einer Erscheinung gleich - im Raum und trifft uns der Blick ihrer „prunelles mystiques”, der die Zeit anhält, dann schärft sich in diesem Innehalten das Auge der Katze zu einem Spiegel, der bannt und zugleich befreit: Befreit, indem sich die Katze keinerlei moralische Urteile über uns erlaubt, und bannt, indem sie uns sphinxhaft mit der Frage ins Visier nimmt: "Wer bist du?". 1 Charles Baudelaire, Les Chats, in: Les Fleurs du Mal (LXVI), Deutsche Übertragung von Monika Fahrenbach-Wachendorff, Stuttgart 1980.

  • Beethoven

    "…tantôt libre, tantôt recherchée" Anmerkungen zur polyphonen Technik Beethovens und Schumanns Die in Beethovens Hammerklaviersonate zentrale harmoni­sche Polarität von B-Dur und h-Moll, die "Position (B) und die Negation (h)"(1), hat als strukturelle Spannung zwischen B und H Relevanz auch für die Neun­te Symphonie. "Es ist leicht einzusehen, dass der Ton B in diesem Werk eine besondere Bedeutung hat". "Wann immer das B in den ersten drei Sätzen thematisch auftritt, hat es die Funk­tion, die Melodie nach unten abzubiegen. Aber noch wich­tiger ist der Versuch des B, nach H durchzubrechen, der sich in allen drei Sätzen wiederholt (I 102ff., II 170ff., III 91ff.), aber erst im 4. Satz völlig gelingt. Darauf beruht die ungeheure Wirkung der an sich so ein­fachen Stelle: 'Und der Cherub steht vor Gott', wo das H zum ersten Mal thematisch auftritt und überschritten wird."(2) Auch wenn Livingstone die polare Klammer B-H schlüssig analysiert, muss man der These des Autors nicht unbedingt folgen, die "Adagio-Stelle des Solistenquar­tetts in H-dur (IV 831-842)" sei der "Höhepunkt des ganzen Werkes", sofern hier "nicht nur das hohe H, sondern auch die Tonart H-dur erreicht" wird (3). Wie bedeutsam die Polarität B-H in Beethovens Œuvre ist, belegen zudem weitere Passagen. So vollzieht sich in der Hammerklaviersonate der Themenrücklauf der B-Dur-Finalfuge (T. 153ff.), der Jürgen Uhde von einer "Nega­tion des Themas", einer "Liquidierung (seiner) Entfaltung", "einer Art Vernichtung"(4) sprechen lässt, in h-Moll, einer Tonart, die Beethoven auf einem Skizzenblatt selbst als "schwarze Tonart"(5) charakterisiert hat. Vergleichbar ist dieser Rücklauf der extremen, fast bis zu seiner Auflösung getriebenen Reduktion des Freudenthemas im B-Dur-"Alla-Marcia" des vierten Satzes der Neunten Symphonie, genauer: in den ebenfalls nach h-Moll gewendeten Takten 535ff. des Fugatos. Erst nach diesem Aufzehren der heroischen Substanz, einem kompositorischen Ernstfall, der dem Siegespathos des „Laufet, Brüder, eure Bahn, freudig, wie ein Held zum Siegen“ aufs Schärfste kontra­stiert, bricht die Musik in letzter Minute zur fortissimo re­stituierten Originalgestalt des Freudenthemas in D-Dur durch­ (T. 541ff.).(6) Und sind überdies nicht auch die Fugen des Credos der Missa solemnis und des Opus 133 in B-Dur notiert? Solche Parallelen verweisen neben einer wohlüberlegten Topographie der Tonarten auf Beethovens Absicht, die fugale Technik zum Ausloten, ja zur Steigerung der Binnenkräfte und zugleich als heroisches und triumphales Prinzip der Überwindung und des Durchbruchs einzusetzen, wobei die polyphone Faktur in ihrer zentripetalen Fasson eine zusätzliche Gewähr der Kontinuität des motivisch-thematischen Verlaufs und dessen riskanten Grenz- und Randgängen verspricht. Mitunter gerät der polyphone Komplex zu einer Art Kompressionstunnel, in dem sich die motivisch-thematischen Energien potenzieren, während die fugale Kombinatorik ein tragendes Gerüst in die motivanalytische Rasanz der Durchführungsarbeit einzieht. So in der Architektur der Großen Fuge opus 133, die Sonate und Fuge verzahnt, ohne bei die­ser kompositorischen Quadratur des Kreises den Antagonismus des Gebildes aufzulösen. Während die Stimmigkeit und Verbindlichkeit der Bach­schen Fuge darin gründen, ihren tektonischen Kanon trotz der dynamischen Ver­schränkung der Stimmverläufe und der Präsenz eines kompositorischen Subjekts der Frühaufklärung als letzten Widerhall einer zunehmend säkularisierten theologischen Weltordnung zu formulieren, kombiniert Beethovens Durchführungsarbeit die fugalen Partien mit Spaltungs- und Belastungsprozessen und deren gleichsam gesellschaftsanalytisch durch Stadien der Souveränität und der Desubjektivierung hindurchge­gangener Motiv- und Themenbildung. Von regelwidrigen Ein­griffen durchzogen, charakterisiert mit programmatischen Mottos wie "Fuga a tre voci, con alcune licenze" (opus 106, Finale), "Grande Fugue, tantôt libre, tantôt recherchée" (opus 133), unterscheidet sich die Kontrapunktik Beethovens von derjenigen Bachs, dass Bachs Strukturen ihr viel­schichtiges Geflecht der Linien und Faltungen aus dem Gesetz als dem Gesetz­ten des Fugenthemas heraus in ein Gleichgewicht der Kräfte und die gesetzmä­ßige Geschlossenheit einer in sich bewegten Entität einbinden. Während demnach das Kontinuum der Bachschen Fuge die empirische Zeit in der ästhetischen aufhebt, wird Kontinuität in Beethovens Polyphonie, unbekümmert um jede Hörtradition, durch subjektexpressive Rupturen eher als Diskontinuität dramatisiert, bis hin zum splitterhaften Eindringen der empirischen Zeit in die ästhetische. Dabei durchformt Beethoven das fugale System mit einem Transformationsfuror, der dem polyphonen Habitus immer wieder scheinhomophone Prägungen als Triebkräfte einer beschleunigten Zeit- und Gedächtnisdynamik und ihrer neuen Sinnlichkeitsregie einverleibt. So wird die Komplexität der Großen Fuge, die ohne Steigerung bereits von Beginn an bis zum "Meno-mosso-e-moderato"-Teil (T. 159ff.) der zweiten Fugensektion in Ges-Dur durchgehendes Forte respektive Fortissimo und doppelten Kontrapunkt setzt, infol­ge der Beharrung auf dem punktierten Rhythmus und einer obsessiven Sechzehntelbewegung zunächst vom Ausdruck manischer Insistenz verschleiert. In solchen Verfahren wird die Fuge für Beethoven zum disponiblen Material, nachdem im Verdichtungsraum der motivischen Arbeit das Thema in kleinste Partikel zerlegt, der Fuge somit nahezu die Substanz entzogen wird, wenngleich immer noch gebunden an ein durchlässiges polyphones Gitter, das schließlich umso effektvoller gesprengt werden kann. Bachs Fugen, die konzentrisch um ihre Themen kreisen und ständige Ausblicke darauf freigeben, können mit ihrer Balance aktiver und passiver Kräfte als Modelle einer prästabilierten Harmonie gelten, die motivökonomisch weit mehr auf die Epoche der Manufaktur als auf die Zeit frühindustrieller Arbeitsprozesse verweisen. Deren Dynamik durchdringt die polyphone Arbeit erst mit der Dramatisierung der thematischen Charak­tere in den Sonatenhauptsätzen, die über "Verwicklungen und Gegensätze", "welche das Gelin­gen und Sichdurchsetzen einander wechselseitig bestreiten", wie Hegel dieses Tableau für das poetische Drama umschreibt(7), immer auch eine formkritische Komponente in die Fugenkomposition nach Bach einbringen und deren Zeitkontinuum perforieren. Drastisch etwa in den konvulsivischen Trillergesten der Takte 117ff. und 243ff. des Finales der Hammerklaviersonate, die den ineinander getriebenen Verzahnungen von originärer und gespiegelter Gestalt des augmentiert gedehnten (T. 117ff.) und diminuiert komprimierten (T. 243ff.) Ansprungmo­tivs des Fugensubjekts eruptiv entweichen und - wie in der Großen Fuge opus 133 - das Material zum Beben und zur Erschütterung bringen. Nicht selten konvergiert die engmaschige Entfaltung des im Fugensubjekt konzentrierten Gehalts mit einigen von Beethovens latent monothematisch angelegten Spätwerken respektive einzelnen ihrer Sätze, das heißt der Verlagerung der Spannungen und Antagonismen in ein und dieselbe thematische Substanz samt ihren Modellvarianten. Erinnert sei an das in sich gespaltene Thema der monologischen Adagio-Fuge zu Beginn des cis-Moll­-Quartetts, an ein Thema also, das Theodor Helm in Anlehnung an den Espressivo-Charakter des Satzes als eine Spannung zwischen "akutem Schmerz" und "Ergebung" charakterisiert.(8) Auch hier erweist sich die Technik der Fuge mit ihrer Entäußerung struktureller Viel­falt aus monistischem Grund als ein primär deduktives Verfahren. "Die Mathematik ist das Vorbild jedes geschlossenen Sy­stems und also auch der Fuge als eines geschlossenen Sy­stems im kleinen. Hier wie dort sind die Folgerungen scheinbar im Prinzip des Anfangs enthalten, aus ihm er­weckbar, voraussehbar, kalkulierbar; dem Sinn eines to­tal rationalen Beziehungsgedankens entsprechend, der auch das Fugenthema rein kontrapunktisch geartet, auf seine vollkommene kontrapunktische Ausbreitung gerich­tet zeigt. Das Zeitalter der mathematischen Konstruk­tion und der großen rationalen Systeme war auch die Blütezeit der Fuge, als welche gleichsam aus der gesetz­ten Definition des Themas seine 'Eigenschaften' folgen ließ".(9) Die Fuge verfügt zwar über ein vielfältiges Reper­toire zur individuellen Durchdringung ihrer Polyphonie vermöge der Emanzipation der Fugensubjekte zu "Cha­rakterthemen" (Besseler) oder – im Unterschied zur Schematik des Kanons – vermöge variabler Verläufe, was Art und Anzahl der Zwischenspiele anbelangt, nicht zuletzt vermöge kombinatorischer Mittel wie Augmentation und Diminution, successio motu contrario, Krebs­bewegung, Orgelpunkt und Engführung, bei der sich die Stimmen gleichsam selbst ins Wort fallen und das Thema sein eigener Kontrapunkt wird. Dennoch bewahrt die Fuge, sofern sie auf Stimmenäquivalenz ausgerichtet ist, etwas von einer "Neutralität", die im "Harmonischen und Rhythmischen eine gewisse Zähigkeit, Cäsurlosigkeit, Gravität des Gehens und Fließens bevorzugt. Die Fuge ist, so fluchthaft und reich sie innerlich ist, im Ganzen Ruhe, Gebautheit, Schich­tung"(10). Dieser Einstand des Wechsels in einer Art vollendeter Entelechie, geför­dert von der Beständigkeit des fugalen Themensubjekts während der Durchführungen, die keine Geschichte verhandeln, und einer Eigenschaft der Themen, die weniger auf individuelle Besonderheit als auf ihre Eignung im kon­trapunktischen Gefüge hin angelegt sind, divergiert zum dialogisch kontrastreichen Verfahren der Sonate und ihrer Motorik der Spaltung als treibender Kraft. Basiert doch die Fuge substanziell auf der Explikation des Themas und dessen Wahrung, die Sonate hingegen auf dem Prinzip der Verarbeitung und deren Prozessgewalt über die Themen. Gerade diese Eigenschaften einer in sich ruhenden Entität im musikalischen Denken der Fuge sind es, die die fugale Technik beim späten Beethoven zu einem Zitat der Stabilität werden lassen, wenn auch nur, um diese Stabilität äußersten Belastungen auszusetzen. Es wäre historisch übereilt, die polyphonen Intentionen Beethovens denen Schumanns gleichzusetzen. Dennoch wird über Beethoven auch Schumanns Absicht verständlicher. Erscheint doch auch hier das fugale Verfahren überwiegend als ein Prinzip der Stabilisierung - wenn auch unter anderen Vorzeichen. Geht es Schumann im Ideenpanorama der Romantik darum, einer zunehmend entzauberten Realität poetischen Widerstand entgegenzuset­zen - mit einem künstlerischen Habitus zwischen unendlicher Subjektivität und mystischer Selbstaufhebung -, dann steht sein Strenger Stil als Refugium der Sicherheit gegen die Gefahr exzentrischer Affektbahnen. Schumanns polyphone Arbeit kreist um eine Ressource des Banns gegen die dissoziativen Grenzüberschrei­tungen der kompositorischen Fantasie. Und sie kreist gewissermaßen um einen flankierenden Begleitschutz anlässlich jener Passagen ins Offene, Abgründige, die Schumanns "Kunst der Umwege, Nebenwege, Verschleierungen"(11) der per Tradition codierten Verwei­sungsharmonik durch die Mehrdeutigkeit zwi­schen Alt und Neu verrätselter Klänge einschreibt, die sich immer mehr der analytischen Legi­timation zugunsten einer Detonikalisierung der funktionsharmonischen Tonalität entziehen. Deshalb sind Schumanns Exkurse auf unbekanntes Terrain nicht von seiner schöpferischen Intention und seinem kompositorischen Leitmotiv zu trennen, welches Integral denn wohl den Zauberton beschwören könnte, um Aufschwung und Absturz, Ekstase und Zerfall trotz strikter Formung poetisch zu transzendieren. Bereits 1828 findet sich in Schumanns Korrespondenz die Stelle: "Jetzt soll es aber an das Studium der Kompositionslehre gehen, und das Messer des Verstandes soll ohne Gnade alles weg­kratzen, was die regellose Phantasie etwa, die sich, wenig­stens beim Jünglinge, immer, wie Ideal und Leben entgegensteht und mit ihrer Mitherrscherin, dem Verstande, nicht besonders vertragen will, in sein Gebiet einpaschen woll­te!"(12) Anders als bei Beethovens enzyklopädischer Verfügung wird die polyphone Technik in Schumanns Kompositionen zu keiner weiteren Spielart romantischer Ironie, sondern - mehr noch als die Choral- und Volkstonpartien - zu einer Rettungsfigur im musikalischen Psychogramm der Seelenbrechungen zwischen Manie und Depression, Traum und Ernüchterung. Im Unterschied zu Beethovens letzten Kompositionen wirkt sich bereits ein Vierteljahrhundert später jener große Weltriss zwischen einer nüchternen Realität und dem Binnenraum der Innerlichkeit aus, der allzu einseitig mit dem Namen "Biedermeier" belegt wird. Im Rahmen dieser Dissonanz zwischen Ich und Welt setzt Schumann die "Rezeption des stren­gen Stils in vergleichbarem Maße wie die Vereinheitlichungstendenz in der monothematischen Arbeit in den Stand, das intrapsychische Gleichgewicht zu halten, das jedesmal durch die Empathie in den gesellschaftlich ausge­setzten Bereich der Unvernunft respektive des Wahns ins Wan­ken gerät". Konsequent "intensiviert er stets dann, wenn sich sein Persönlichkeitskonflikt zuspitzt, die Bach-Rezeption", um das "luxurierende Unbewusste" zu zügeln(13). Seine "kontrapunktische Kur", wie er die Auseinander­setzung mit dem Leipziger Meister zur Zeit des ersten schweren Zusammenbruchs nennt, verweist allein schon dadurch auf das Über-Ich Bach, dass Schumanns Fugen opus 72 von 1845 weitaus "bachischer als Bach"(14) klingen, wobei der um "'strengen Satz' bemühte Komponist" ausschlägt, "was sich bei Bach etwa im zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers oder in etlichen großen Or­gelfugen ereignet (gelegentliche Homophonisierung des Satzes, Einführung neuer Ideen)"(15). Schon 1840 beschreibt Schumann sein Ver­hältnis zu Bach als eine 'tagtägliche Beichte', in der er sich "vor diesem Hohen" und "durch ihn zu reinigen und zu stärken" sucht(16). Beethoven dagegen zwingt die Poly­phonie mit Verve unter die agonalen Kräfte der Durchführungsarbeit, um die Dramatik des Sonatenprinzips am kompositorischen Verfahren einer älteren Stiltradition zu intensivieren und zugleich die fugale Struktur zu dynamisieren und zu verwandeln. Beethovens vielzitierter Ausspruch, "eine Fuge zu machen ist keine Kunst, ich habe deren zu Dutzenden in mei­ner Studienzeit gemacht. Aber die Phantasie will auch ihr Recht behaupten, und heutzutage muss in die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Moment kommen"(17), mag diese Intention der Verwandlung und der Metamorphose belegen. Bringt Beethoven somit 'Poesie in die althergebrachte Form', setzt Schumann seine fugentechnischen Exkurse gerade ge­gen die desintegrative Tendenz des poetischen Passionato. Und wenn Hegels Denken, das sich als Vollendung aller vorangegangenen Philosophie begreift, eine musikalische Entsprechung bei Beethoven findet, dessen Spätwerk Fugentechnik und Sonatenform als Quintessenz abendlän­discher Musikentwicklung in einer Synthese von Subjektemphase und tektonisch verbindlicher Objektivität verschränkt, dann bleibt Schumann oftmals nur noch der polyphone Regelkanon als Gegenmittel gegen die Bedrohung und Heimsuchung in einer inneren Welt der Dämonen und gegen die prosaische Außenwelt des frühindustriellen Pragmatismus. 1 Jürgen Uhde, Beethovens Klaviermusik, Bd. III, Stuttgart 1974, S. 390. 2 Ernest F. Livingstone, Das Formproblem des 4. Satzes in Beet­hovens 9. Symphonie, Kassel o. J., S. 495. 3 Ebd., S. 494f. 4 Uhde, Beethovens Klaviermusik III, S. 463. 5 Gustav Nottebohm, Zweite Beethoveniana, Leipzig 1887, S. 326. 6 Dazu ausführlich: Johannes Bauer, Rhetorik der Überschreitung. Annotationen zu Beethovens Neunter Symphonie (=Musikwissenschaftliche Studien, hg. v. Hans Heinrich Eggebrecht, Bd. 8, Centaurus 1992), S. 178ff. 7 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt am Main 1970, S. 480. 8 Theodor Helm, Beethovens Streichquartette, Wiesbaden 1971, S. 235. 9 Ernst Bloch, Zur Philosophie der Musik, Frankfurt am Main 1974, S. 270. 10 Ebd., S. 127f. 11 Diether de la Motte, Harmonielehre, Kassel 1976, S. 173. 12 Brief Schumanns vom 5. 8. 1828 an Gottlob Wiedebein; zit. bei Willi Reich, Robert Schumann im eigenen Wort, S. 50. 13 Norbert Nagler, Der konfliktuöse Kompromiss zwischen Gefühl und Vernunft im Frühwerk Schumanns, in: Musikkonzepte: Robert Schumann, Bd. I, Hrsg. H.-K. Metzger und Rainer Riehn, München 1981, S. 274. 14 de la Motte, Kontrapunkt, Kassel 1981, S. 293. 15 Ebd. 16 Schumann am 31. Januar 1840 an Gustav Adolf Keferstein; zit. bei Reich, Schumann im eigenen Wort, Zürich 1967, S. 226. 17 Alexander Wheelock Thayer, Ludwig van Beethovens Leben, Bd. IV, Berlin/Leipzig 1866-1908, S. 76. "Der Inhalt der großen Wissenschaft des Frauenzim­mers ist der Mann" Geschlechterfixierte Rollenklischees in Beethovens Neunter Symphonie? Dass bei jedem "Abschnittbeginn die Männerstimmen die Führung haben: im Alla Marcia, im Andante mae­stoso und sogar im Allegro ma non tanto", also "an den entscheidenden Stellen den Vorrang"(1) behaupten, bis hin zu den Kontrabässen der Rezitativpartie als den "Vätern des Orchesters"(2), ist nach Otto Baensch eine Folge der politischen Konzeption des Finales der Neunten Symphonie und des Umstands, dass "Politik, nach der Anschauung der Zeit Beethovens wenigstens, von Männern geleitet wird"(3). So einleuchtend Baenschs Erklärung zunächst auch klingt, sie bleibt zu pauschal. Ähnlich einer reflexiven Nuance wie sie die Stelle "Und wer's nie gekonnt, der stehle / Weinend sich aus diesem Bund!" anklingen lässt, an der die Musik mit einem Diminuendo der Besinnung den Ausschluss derjenigen hinterfragt, die nach Schiller die philanthropische Gemeinde des Finales zu verlassen haben, muss auch Beethovens Behandlung der Singstimmen - ihrer solistisch wie chorisch exponierten Stimm­gattungen respektive Geschlechterrollen - differenzierter gefasst werden als nach rein patriarchalem Muster, mag diese Lesart auch durch Schillers Devise "Alle Menschen werden Brüder" und den zeitgenössischen philosophischen und sozialen Kontext geboten sein. "Ist der Mann in die Operationen der materialen und kognitiven Naturbeherrschung, die ihn mitunter blind und grausam gegen das Beherrschte und gegen sich selbst werden lassen, verstrickt - so erscheint die Frau inmitten seines zuweilen kreativen, zuwei­len pflichtvoll vernünftigen und zuweilen kämpferi­schen Wirkens als ruhende Spiegelfläche, die ihm das unverzerrte Bild seiner idealen Existenz zurückwirft. Sie hat, so scheint es, noch jenes konfliktlose sym­pathetische Verhältnis zur Natur, das er im Verlauf seiner Beherrschungsanstrengungen zerrüttet und ver­loren hat."(4) Was Silvia Bovenschen im Hinblick auf Schillers Gedichte Das weibliche Ideal und Die Würde der Frauen zu bedenken gibt, scheint auf den ersten Blick auch für eine markante Partie in Beethovens Neunter Symphonie und deren Geschlechterdisposition zuzutreffen: Für jene Partie nämlich, in der Beethoven innerhalb der sinnlichen Klimax der Freudenode den Solo-Sopran - er setzt erst während der zweiten Strophe auf die Worte "Wer ein holdes Weib errungen" ein und gewinnt dieser Verzögerung wegen umso größeren Glanz - mit der Zeile "Küsse gab sie uns und Reben" in einer geradezu erotisch eingefärbten Höhenlage exponiert, einer Höhe, die schon Henriette Sontag als Sängerin der Uraufführung zu einer erfolglosen Re­klamation veranlasste(5). Und doch übersteigt allein schon der vokale Mischklang das Supplementverhältnis des Weiblichen zur männlichen Rollendominanz und lässt das der Frau zugewiesene Sinnlichkeitsattribut einer lediglich ergänzenden Projektions-, Wunsch- und Erfüllungsimago sinnlicher Fantasien und eines idyllischen Refugiums parzellierter Natur inmitten der Herrschaft instrumentell-ökonomisch ausgerichteter Vernunfttheorien und ihrer Praktiken vergessen. Zudem wird der maskulin athletische Habitus von Rivalität und Kampf im "Alla-marcia"-Fugato des Finales der Neunten Symphonie als beschränkt, ja zerstörerisch demaskiert.(6) Nicht nur, dass die Alla-Marcia-Partie den Konkurrenzentwurf des "Laufet, Brüder, eure Bahn" über die massive Fugato-Reduktion des Freudenthemas bis hin zur Destruktion austrägt, Beet­hoven revidiert zudem die Geschlechterstereotypien seiner Zeit, indem er sie über den Wortlaut der Schillerschen Ode zwar aufnimmt, zugleich aber kompositorisch durch eine rollen- und textkritisch reflektierte Disposition der Singstimmen und ihre subtilen Mischklänge verwandelt. Und wenn schließlich das Timbre der Frauenstimmen das imperativische Unisono-Postulat des "Seid umschlungen, Millionen!" und des "Brüder! über'm Sternen­zelt" der Tenöre und Bässe erst zum sinnlich erfahrbaren Huma­num entbindet, befindet sich die Musik jenseits des Geschlechterdualismus, den Kant als Kind seiner Zeit festschreibt, indem er das "Gegen­verhältnis beider Geschlechter" à la Rousseau als eines zwischen dem "Schönem" und "Erhabenem", zwischen "Gefühl" und "abstrakten Spekulationen oder Kenntnissen", schließlich zwischen "Empfindung" und "Verstand"(7) fixiert. "Nichts von Sollen, nichts von Müs­sen, nichts von Schuldigkeit"(8): "Dass die Frauen mora­lischen Imperativen nicht zugänglich seien"(9), dass sie ohne "geschichtsmächtiges Postulat"(10) in Assistenzfunktion zum männlichen Agieren(11) zu verharren hätten, setzt Beethovens Musik gegen Schiller und gegen das zeitgenössische Diskurs- und Praxisgebot männlicher Dominanz und deren mentaler Priori­tät außer Kraft (12). 1 Otto Baensch, Aufbau und Sinn des Chorfinales in Beethovens neunter Symphonie, in: Schriften der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Universität Frankfurt/M., Neue Folge 11. Heft, Berlin-Leipzig 1930, S. 25. 2 Hermann Kretzschmar, Führer durch den Konzertsaal, Leipzig 1890, S. 118. 3 Baensch, Aufbau und Sinn des Chorfinales, S. 25. 4 Silvia Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit. Exem­plarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weibli­chen, Frankfurt/M. 1979, S. 240. 5 Anton Schindler, Biographie von Ludwig van Beetho­ven, Hg. Eberhard Klemm, Leipzig 1977, S. 354. 6 Johannes Bauer, Rhetorik der Überschreitung, Annotationen zu Beethovens Neunter Symphonie, Musikwissenschaftliche Studien, Herausgegeben von Hans-Heinrich Eggebrecht, Bd. 8, Centaurus, Pfaffenweiler 1992, S. 180ff. 7 Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. In: Kant, Werke Bd. II, Vorkritische Schriften bis 1768, 2. Teil, Hrsg. Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1960, S. 850, 852, 867f. Wie Kant sein männliches Dominanzmodell erkenntnistheoretisch fundiert, verdeutlicht der Paragraph 8 der Anthropologie: "Das Passive in der Sinnlichkeit, was wir doch nicht ablegen können, ist eigentlich die Ur­sache alles des Übels, was man ihr nachsagt. Die innere Vollkommenheit des Menschen besteht darin: dass er den Gebrauch aller seiner Vermögen in sei­ner Gewalt habe, um ihn seiner freien Willkür zu unterwerfen. Dazu aber wird er­fordert, dass der Verstand herrsche, ohne doch die Sinnlichkeit (die an sich Pöbel ist, weil sie nicht denkt) zu schwächen: weil ohne sie es keinen Stoff geben würde, der zum Gebrauch des gesetzgebenden Verstandes verarbeitet werden könnte" (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Kant, Werke Bd. X, Schriften zur Anthropologie, Gesichtsphilosophie, Politik und Pädagogik 2, Hrsg. Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1964, S. 433). 8 Ebd., S. 854. 9 Bovenschen, Die imaginierte Weiblichkeit, S. 234. 10 Ebd., S. 230. 11 "Der Inhalt der großen Wissenschaft des Frauenzim­mers ist (…) der Mensch und unter den Menschen der Mann" (Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, S. 853). 12 So deutet auch Baensch (Aufbau und Sinn des Chor­finales, S. 30) die Disposition der Stimmen mit dem Akzent eines männlichen Führungsanspruchs: "Man darf" diese Disposition als ein "fortschreitendes Verständnis des Chores für die gehörten Worte betrachten, das sich von den älteren Männern (Bässen) über die jüngeren Männer und älteren Frauen (Tenor und Alt) zu den jüngeren Frauen ( Sopran) ausbreitet". Diabellivariationen Wie sich die polyphone Arbeit des kammermusikalischen Spätwerks und die der Neunten Symphonie unterscheiden, so zeigt sich in Beethovens letzten Jahren eine ähnliche Differenz auch in der Variationsstruktur. So entfalten sich die Diabelli-Variationen anders als das Steigerungsprinzip der Variationsreihen im dritten und vierten Satz der Neunten Symphonie zu einer Parataxe experimenteller Modellvarianten: mit einem Höhepunkt im mikroskopischen Verfahren der zwanzigsten Veränderung, deren extremer Grenzgang sich in die Potentialität und Belastbarkeit des Materials versenkt. Voraussetzung einer solchen kompositorischen Praxis bleibt, wie der sentimentalisch-ironische Menuettausklang der Diabelli-Variationen nahelegt, die Distanz zur Tradition. Ihrer Brüchigkeit im Spannungsfeld zwischen verbürgter Tradition und neuer Freiheit sucht die Komposition trotz ihres manischen Zerlegens und Sezierens standzuhalten. Zudem ist diese Brüchigkeit die auffallendste Differenz zwischen den Goldberg- und Diabelli-Variationen, welch letztere wohl kaum, entsprechend der Begleitfama des Bachschen Werkes, zur Beruhigung eines an Schlaflosigkeit Leidenden in Betracht kämen. Sofern die Umformung des Materials bei Beethoven nicht selten einem Identitätswechsel des Themen-Subjekts nahekommt, stellt diese Um- und Verformung den Status der Variation in Frage: den der Beharrlichkeit im Wechsel. So erscheint das Subjekt der zwanzigsten Variation gleichsam wie skelettiert in einer die Auflösung unterbindenden Periodik des Ausgangsmodells. Mit dieser temporal-tektonischen Statik, die ein Gefüge klangräumlicher Bezüge entbindet und gleichsam gegen die Gefahr der Stagnation als "Andante" notiert ist, lädt die zwanzigste Variation Zeit meditativ auf und verrätselt sich zu einem Gebilde des spekulativen Ohrs. Dass hierbei Alterationen die Tonalität an manchen Stellen zu einem harmonischen Schwebezustand verunklären und porös werden lassen, schärft im tonalen System erneut die Ambivalenz zwischen Refugium und Fessel, ähnlich wie die "Poco-adagio"-Takte nach dem Ausbruchsversuch der Es-Dur-Fuge (T. 161ff.). So konstellieren sich die Diabellivariationen, ohne ihr zahlreichen extremen Eingriffen konfrontiertes Subjekt zum Verschwinden zu bringen, mitunter zu einer Entsubstantialisierung des Themas im Wechsel der Charaktermasken und damit zu einer Überschreitung der Ichgrenzen auch der Hörer. Dass aber diese Überschreitung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also am Ende des historischen Prozesses einer Verwandlung göttlicher Heils-, Erlösungs- und Transzendenzgewissheit in die Wahrheit der Vernunft und eine verinnerlichte Gefühlsreligion, das Individuum in seiner Autonomielast überfordert, ja rollenhaft zersplittert, ist die Hypothek seiner Weltimmanenz. Wie schreibt doch Friedrich Schlegel am 18. Dezember 1797 an seinen Bruder: "Ich kann von meinem ganzen Ich gar kein anderes echantillon geben, als so ein System von Fragmenten, weil ich selbst dergleichen bin." Beethoven-Notizen Den Prozess innerer Teleologie versteht Beethovens Komponieren als einen Diskurs, der seine Form produziert, um zugleich von ihr kanalisiert zu werden. Inhalt und Form sollen untrennbar durch- und miteinander vermittelt sein. Dass "alles durch jedes und jedes durch alles bestimmt wird", dass "jedes (...) nur durch das andre, und alles nur durch die eine, das Ganze durchdringende Kraft besteht", um das Organismusmodell in Wilhelm von Humboldts Version zu zitieren, bedeutet zudem, die Freiheit der Produktion als deren immanente Notwendigkeit zu entwickeln, um genau diese Notwendigkeit wiederum als Freiheit erscheinen zu lassen. Langeweile zu haben wird in einer Zeit des Aktionismus zum Makel. Das durch Erlebnisse animierte Ich begreift die Welt primär über das Erlebnis. Deshalb kontrastiert das Motiv der Langeweile und der „langweiligen Vorstellung” schon in Hegels Tagebuch der Reise in die Berner Oberalpen der aktiven Kraft und nutzbringenden Tätigkeit des Geistes (im Unterschied etwa zu Goethes Schweizer Reisen). Ob deshalb im Bereich der sogenannten klassischen Musik vor allem Beethovens Musik unserer ökonomischen Konditionierung so sehr entspricht, eine Musik, die dem „Geist (…) Beschäftigung” (Hegel, Tagebuch) und seiner Arbeit etwas zu tun gibt? Eine Musik, deren Motiv-und Themenbank Einlagen, Renditen und Verluste auf der Bahn einer zielfixierten Zeit verhandelt? Ist uns also Beethovens Musik nicht zuletzt über ihren ökonomischen Grund so nahe?

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  • Johannes Bauer, Abgründiges in Bachs Instrumentalmusik

    Johannes Bauer "Alle unsere Fundamente bersten" Abgründiges in Johann Sebastian Bachs Instrumentalmusik Südwestrundfunk (2008) ​ ​ Blättert man in der unüberschaubar gewordenen Literatur zu Johann Sebastian Bach, stößt man auf ein Kaleidoskop von Bezügen, nur auf einen nicht: auf den zwischen Bach und Pascal. Nicht einmal auf eine sporadische Erwähnung des Philosophen in den Registern. Wie sollte man auch. Wurde Pascal nicht gut 60 Jahre vor Bach geboren, ein Franzose, ein Katholik, ein Jansenist? Und was Bach betrifft: Vermutlich hat er nie eine Zeile Pascals gelesen. Auch wenn jene Deutungsroutine weitgehend überwunden scheint, die geistesge­schichtliche Wahlverwandtschaft lediglich bei chronologischer Deckung zulässt: Immer noch werden zeitliche Übereinstimmungen verabsolutiert, mögen es oft genug auch nur solche dem Buchstaben nach sein. Würde man etwa auf eine exakte philosophische Zeitgenossenschaft zu Bach achten, noch dazu auf eine geographisch gestützte, müsste die Wahl auf den Hallenser Philosophen Christian Wolff fallen. Seine Lebenszeit weicht nur minimal von derjenigen des Komponisten ab. Und zweifellos ließen sich zwischen Wolffs Vernunft-Metaphysik und Bachs spekulativen Kompositionsverfahren Parallelen finden. Ob aber Wolffs Rationalismus bei einer Musik wie der folgenden weiterhilft? Bspl. 1: Bach, Präludium und Fuge e-Moll (BWV 548) Verstörender könnte Bach die Meisterschaft seiner kontrapunktischen Rationalität nicht unterbrechen als durch jene toccatenhaft irrlichternden Tonwirbel, die die Tektonik der e-Moll-Orgelfuge BWV 548 durchbeben. Quasi improvisatorische Passagen sprengen das Prinzip der Geschlossenheit und jede formal „prästabilierte Harmonie“. Und dies mit einer überbordenden Verve, die den Einsatz des Fugenthemas zweimal regelrecht überrollt. Die Einheit der Musik gerät an eine Grenze, die auch die philologische Aus­kunft von der Mischung fugaler und konzertanter Strukturen nicht ins Vertraute einge­meinden kann. Bach treibt hier Extreme ineinander, als sollten Form und Technik der Fuge auf ihre historische Gültigkeit und Belastbarkeit hin geprüft werden. Was aber ist es, das in diese Musik einbricht? Ist es die reine Spielfreude? Oder hat diese Irritation zudem etwas mit der Condition humaine der frühen Moderne zu tun? Entgegen den Geborgenheitssüchten der Bach-Gemeinde hatte Theodor W. Adorno schon 1951 das Klischee kritisiert, dem gemäß sich in Bach ​ „mitten im aufgeklärten Jahrhundert nochmals die traditional verbürgte Gebundenheit, der Geist der mittelalterlichen Polyphonie, der theologisch überwölbte Kosmos offenba­ren“ würden. Obwohl doch schon „die einfachste historische Reflexion [...] gegen das historistische Bild Bachs misstrauisch machen [sollte]. Zeitgenosse der Enzyklopädis­ten, starb er sechs Jahre vor der Geburt Mozarts, zwanzig nur vor der Beethovens“. ​ Adornos Beharren auf der „Emanzipation des Subjekts“ in Bachs Musik lässt nach den Bedingungen dieses Subjekts in einer porös gewordenen theologischen Weltordnung fragen. Wie steht es demnach um die neue Diesseitsmündigkeit und um die ästhetische Reflexion ihrer Zumutungen und Wagnisse? Bachs kompositorische Grenzgänge und Entgrenzungen jedenfalls sind nicht zu überhören. Sie widerlegen den Einwand, so nochmals Adorno, ​ „Bach habe [...] von jenem Zeitgeist [der Subjektivität] nichts erfahren als den Pietis­mus der Texte seiner geistlichen Werke“. Enthielt doch gerade der „Pietismus [...] die Kräfte derselben Aufklärung in sich [...], der er sich entgegensetzte. Das Subjekt, das [...] kraft reflektierter ›Innerlichkeit‹ der Gnade meint habhaft werden zu können, ist be­reits aus der dogmatischen Ordnung entlassen und auf sich selbst gestellt, autonom in der Wahl der Heteronomie“. ​ Einer der scharfsinnigsten Diagnostiker dieser Heteronomie aber ist Blaise Pascal. Nicht nur dass Pascals Reflexion einer Welt, die im Stand der Unerlöstheit auf Gnade verwie­sen ist, mit protestantisch beseelten Bibelexegesen und markanten Motiven in Bachs Kantaten korrespondiert. Man denke nur an die Sujets der Weltentsagung und der ge­fühlsinspirierten Christusverehrung. Auch und vor allem Pascals Auseinandersetzung mit den Spannungen zwischen Vernunft, Gefühl und Glauben ermöglicht es, einige Züge Bachs besser zu verstehen. Sind es doch diese Spannungen, die die „Emanzipation des Subjekts“ in vielfältigen Varianten prägen; etwa als der von Pascal thematisierte Widerstreit zwischen „raison“ und „cœur“, zentriert um ein traumatisches Sinnbild der Neuzeit: um das des Abgrunds. Pascal und der Abgrund. Bach und Pascal. Aber auch Bach und der Abgrund? Las­sen wir einmal die ausdrücklich zur Sprache gebrachte Abgrund-Thematik in Bachs Kantaten beiseite. Wie steht es mit dem Motiv des Abgründigen in Bachs Instrumental­kompositionen, einer Musik ohne Textprogrammatik also? Etwa in der Orgel-Fantasie G-Dur , deren hohes, von einem fünfstimmigen „Gravement“ getragenes Pathos im Stil französischer Orgelmessen über einem verminderten Septakkord auf cis jäh gestaut wird und nach einer Generalpause „lentement“ in einer endlos sinkenden Girlande von Arpeggien zerrinnt? Bspl. 2: Bach, Fantasie G-Dur (BWV 572) Wirkt die Reihung dieser gebrochenen Akkorde und ihre lose Verbindung durch zu­meist harmoniefremde Töne nicht wie eine Verselbständigung des Formverlaufs, die den kompositionslogischen „Satz vom Grund“ nach und nach aufhebt und sich ins grundlos Abgründige zu verlieren droht? Bevor nämlich die äußerst dissonante Chro­matisierung in einer Schlusskadenz aufgelöst wird, gleitet das Ostinato des Pedals sie­ben Takte lang abwärts. Mag der Bass danach auch auf dem Orgelpunkt der Dominante insistieren: seine Zugkraft bleibt wie ein unheimlicher Sog präsent, der das figurative Laufwerk unaufhaltsam nach unten zieht. Wird hier die Grammatik der Musik und mit ihr der Geist des Rationalismus nicht auf etwas Vernunftresistentes hin durchlässig, auf eine sich selbst überlassene Eigendynamik, die der formenden Kraft des kompositori­schen Subjekts Grenzen setzt? Auch in Bachs Orgel-Fantasie g-Moll erzeugt die Pedal-Skala eine schlundartige Tiefenwirkung. Im Widerspiel der Bass-Region mit den gegenläufigen chromatischen Oberstimmen und ihrem machtvoll anwachsenden Stimmen-Crescendo spreizt die Komposition die Energielinien der Höhe und der Tiefe zu einer ins Offene aufklaffen­den Klammer. Zusammen mit der leeren Mitte, die von der Expansion des Klangraums konturiert wird, entziehen diese Takte mehr als nur den tonalen Boden. Das rhetorische Mittel der Sequenz fordert hier unerbittliche Konsequenz: Eine unwägbare Drift in ent­legene, tonikafernste Bereiche greift von g-Moll über f-Moll und es-Moll nach des-Moll aus. Durch ges-Moll, die folgerecht nächste Region mit der Vorzeichnung von 9b, wäre die Grundtonart endgültig aufgehoben, würde die Harmonie nicht abrupt nach g hin ab­gebogen: eine Grenzsituation, die durch ihr Wendemanöver in letzter Minute die schockhafte Verunsicherung der Hör-Erwartung freilich nicht aufheben kann. Bspl. 3: Bach, Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) Der Abstieg in Bachs g-Moll-Fantasie ist Teil einer Dramaturgie extremer harmoni­scher Mittel, das heißt einer Dramaturgie chromatischer Rückungen und enharmoni­scher Umdeutungen, die ungeheure Modulationsstrecken raffen oder unkalkulierbare Richtungswechsel und Abweichungen der Tonart in Szene setzen. Und er ist Teil eines von Figuren der Musica poetica durchzogenen Labyrinths der Passionen, ohne dass diese Figuren programmmusikalisch zu entschlüsseln, gar mit sakralem Firnis zu über­ziehen wären. Bspl. 4: Bach, Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) Bachs g-Moll-Fantasie - ihre hochchromatisch erhitzte, leidenschaftliche Rezitativ-De­klamation im Wechsel mit kontemplativ verinnerlichten, polyphonen Zwischenspielen; ihre nach der Ordnung von „Rede“, „Gegenrede“ und „Bekräftigung“ organisierte Fak­tur, die doch zugleich äußerst zerklüftet ist: durch solche Extreme erzeugt Bachs Musik eine unvermittelte Mitte zwischen Ratio und Emotio, die dem Abgründigen Raum gibt. Was aber Mitte und Abgrund in einer Zeit der Dämmerung des theologischen Dogma­tismus bedeuten, lässt sich am prägnantesten bei Pascal erfahren: ​ „Was ist denn schließlich der Mensch in der Natur? Ein Nichts im Hinblick auf das Un­endliche, ein All im Hinblick auf das Nichts, eine Mitte zwischen dem Nichts und dem All, unendlich weit davon entfernt, die Extreme zu begreifen. [...] Er ist ebenso unfähig, das Nichts zu sehen, aus dem er gezogen ist, wie die Unendlichkeit, von der er ver­schlungen ist. Was bleibt ihm also anderes übrig, als dass er einen Schein von der Mitte der Dinge wahrnimmt, in ewiger Verzweiflung, weder ihren Anfang noch ihr Ende zu erkennen? [...] Das ist unser wahrer Zustand. In ihm sind wir unfähig, sicher zu wissen und absolut nichts zu wissen. Wir treiben über einen weiten Mitten-Raum dahin, stets unsicher und schwankend [...]. Wir verbrennen vor Sehnsucht, einen festen Ort und ein endgültiges bleibendes Fundament zu finden, um einen Turm darauf zu erbauen, der sich bis ins Unendliche erhebt; aber alle unsere Fundamente bersten und die Erde tut ihre Abgründe auf.“ ​ So also sieht Pascals anthropologische Messung aus: der Mensch ein „être intermédi­aire“, ein Mittelwesen, ein Wesen der Kontingenz, ein lebendes Paradoxon, ausgesetzt einem Kosmos, „dessen Mittelpunkt überall und dessen Umfang nirgends liegt“. Und immer wieder Pascals Rede von der unheimlichen Regie des Zufalls: ​ „Der Zufall gibt die Gedanken, der Zufall nimmt sie. Es gibt keine Kunst sie zu bewah­ren oder zu erwerben.“ ​ Der Mensch: für Pascal ein zwischen die Extreme des Unendlichen und des Nichts ver­spanntes Wesen, das in seinem Innern den Abgrund der Leere trägt. Wie aber wäre diese Leere zu ertragen, wenn nicht mit der Betäubungswut eines Divertissements, das Pascal unnachgiebig anklagt, weil es die Zerstreuungssüchtigen „sorglos in den Ab­grund“ laufen lässt? Zumal doch diese Leere aus einem „Glück“ resultiert, das durch den Sündenfall vernichtet wurde, aus einem Glück mithin, ​ „wovon uns nichts blieb als eine Narbe und eine große Leere, die der Mensch nutzlos mit allem, was ihn umgibt, zu füllen trachtet“. Indes kann doch „nur ein unendliches und unwandelbares Wesen [...] den unendlichen Abgrund erfüllen, das ist Gott selbst“. ​ Der Abgrund der Leere und der Abgrund des Zufalls: zwei der schwindelerregenden Uner­gründlichkeiten in Pascals Gedankenwelt, die das zerbrechliche Zwischenwesen Mensch zum Sprung in den Glauben bewegen können. Natürlich wäre es unsinnig, Bachs abgründige Stellen illustrativ auf Pascal zu beziehen. So als wollte Bach mit reli­giöser Strenge die gnadenlose, rein aus sich zu bewirkende Souveränität des Subjekts in ihrer Ohnmacht entlarven und theologisch rückbinden. Weit mehr zeigt sich die pascal­sche Ambivalenz des Subjekts bei Bach durch den religiösen Schatten hindurch als die Erkundung einer neuen Freiheit: Mit Blick auf jene beunruhigende und zugleich verhei­ßungsvolle Vakanz, die ein zunehmend weltflüchtiger Gott hinterlässt. Eine Vakanz freilich auch, deren Erfahrung zwischen Aufbruch und Melancholie changiert. Faszina­tion und Schrecken legieren sich, wenn die Transzendenz schwindet und im Bindungs­losen die Sehnsucht nach vermeintlicher Geborgenheit aufkommt. Melancholie. Auch sie repräsentiert - zusammen mit dem Bodenlosen und Zufälli­gen, mit dem Sinnlosen und Triebhaften - eine Facette des pascalschen Abgrunds. Lässt indes nicht auch Bachs frühe a-Moll-Fantasie an eine melancholische, an eine melan­cholisch-sanguinische Konstellation denken, um mit Begriffen der alten Temperamen­tenlehre zu sprechen? Und dies in einer Musik rhythmisch-akkordischer Mikromotive, die trotz ihres Bindungsstrangs ungewöhnlich athematisch wirkt. In einer Musik, deren planlos schweifende Harmonien, entbunden zur Lethargie der Wiederholung, den schwermütig lastenden Ausdruck dieser Takte bedingen; den Ausdruck einer Stagna­tion, aus der erst ein wie besessen nach oben drängendes Impulsostinato befreien kann. Bspl. 5: Bach, Präludium (Fantasie) a-Moll (BWV 922) Eine ähnlich exzentrische Bahn der Abschweifung beschreibt die disproportionale Cem­balokadenz im ersten Allegro des Fünften Brandenburgischen Konzerts . Dieser 65 Takte lange solistische, oder sollte man besser sagen: solipsistische Parcours mit seinen capriccio- und toccatenhaften Zügen entbindet das Gedächtnis nach und nach vom Mo­tivrepertoire des Satzes. Passagen eines Diskurses an der Peripherie des Diskurses be­ginnen frei zu flottieren, Passagen, deren Kaskadenbrandung samt Gegenwendung an den Tiefen- und Höhenexkurs der a-Moll-Fantasie erinnern. Nach dem Taumel des Ab­stiegs und dem darauf folgenden mühsamen Aufstieg verbeißt sich das Cembalo obses­siv in die Festigung der horizontalen Balance auf dem Orgelpunkt A, bis die Reformu­lierung der thematischen Substanz und die Rückkehr ins Orchestertutti der Sukzession wieder Halt geben. Bspl. 6: Bach, Brandenburgisches Konzert Nr. 5 (BWV 1050) Bachs kompositorische Randgänge wirken umso verstörender, je unvermittelter sie inner­halb eines oft engmaschig vernetzten Tonsatzes Raum greifen. Es sind vor allem Bachs tiefenperspektivische Skalen, die im Zeitalter des Rationalismus das Andere, Dunkle der Vernunftsymmetrie samt ihrer Erschütterung durch die Asymmetrie der Af­fekte ausloten. Der Abstieg in die Katakomben des Geistes und der Seele jedoch ist so vielgestaltig wie jene Exkursionen in die Fundamentbereiche, die die jüngeren Zeitge­nossen Bachs und die frühen Tiefenforscher der Generation nach ihm unternehmen. Laurence Sternes „Grundwasserstrom“, Giambattista Piranesis Carceri , Johann Georg Hamanns „Höllenfahrt der Selbsterkenntnis“ oder Georg Christoph Lichtenbergs Traumexegesen sondieren mit ihren Bohrungen in den Triebgrund des Geistes die Bre­chung der gottverklärten Vernunft im Spiegel irdischer Leidenschaft. Das Ich erprobt den Blick an der Nacht des Unbewussten, an dem also, was schon Leibniz die „dunklen Vorstellungen“ nennt. Es ist dieser Reiz des bislang Verfemten und Rätselhaften, der auch Bach fasziniert. Etwa im a-Moll-Präludium BWV 894 , das nach einer dicht gearbeiteten Durchführung wie selbstvergessen in virtuose 32stel-Passagen ausufert: Bspl. 7: Bach, Präludium und Fuge a-Moll (BWV 894) Nicht anders das Spiel der sich kreuzenden Hände im zweiten Teil der Giga aus Bachs B-Dur-Partita , das sich einem Gefälle aus verminderten Septakkorden überlässt, bevor ein gegenläufiger Motivimpuls die Musik wieder festigt. Bspl. 8: Bach, Partita B-Dur, Giga (BWV 825) Weit ausladender und mit einem kühnen Schematismus hat Bach das Modell aus der B-Dur-Partita im frühen g-Moll-Orgel-Präludium durchgeführt. Hier gleitet eine Sequenz aus verminderten Septakkorden mit selbstläuferischem Eigensinn durch alle zwölf Töne der chromatischen Skala abwärts. Erst der Dominant-Orgelpunkt wendet einen Abstieg, der seine Drift gegen Ende durch verkürzte Stufenwechsel beschleunigt, wieder zum lebhaft figurierten Aufstieg. Mögen sich auch Anfang und Ende der Sequenzkette in der Dominante treffen: die Beharrlichkeit der lückenlos durchmessenen Stufenfolge gerät zur Faszination am Material und seinem enharmonischen Verwandlungszauber, unbe­kümmert um die Kategorien von Vielfalt und kompositorischer Meisterschaft. Bspl. 9: Bach, Präludium und Fuge g-Moll (BWV 535) Es war August Halm, der solche Stellen mit dem Begriff einer „passiven Musik“ zu fas­sen suchte. Trotz der Hochschätzung dieser von Halm auch „selbsttätig“ genannten Mu­sik als eines kompositorischen Kontrasts war die Ratlosigkeit anlässlich der soeben ge­hörten Takte des g-Moll-Präludiums beträchtlich. Was das Ungewöhnliche, nicht zu Kategorisierende an Bachs Musik ausmacht, lässt sich an Halms Wortwahl ablesen. Etwa wenn von einer „Geduldsprobe für den Zuhörer“ die Rede ist und davon, dass Bach hier „zu viel getan oder vielmehr zu viel geschehen lassen“ habe. Oder wenn die Sequenz nach einem „Maß“ beurteilt wird, das „abschreckt“, das heißt nach einem Maß des Maßlosen, das kein „Entrinnen“, keine „Gnade“ kennt. Unter dem Eindruck des ›Einförmigen‹, ›rein Mechanischen‹, ›Langatmigen‹ schließlich dann Halms Frage, „ob Bach hier nicht mit einem Experiment verunglückt“ sei. Ist es demnach wirklich zu gewagt, bei einer Musik wie der des g-Moll-Präludiums von einer delirierenden Passage zu sprechen? Sofern man Delirium, der Medizin des 17. und 18. Jahrhunderts entsprechend, als eine Symptomatik der Abweichung versteht, als eine Abweichung von der „lira“, von der Furche, vom gebahnten Weg? Delirium also als ein „de lira ire“, als ein Verlassen der geraden Linie? Auch im g-Moll-Präludium sinkt die Musik ins Ungewisse unterer Regionen ab. Auch hier streift sie die Nähe der Kontemplation zur Melancholie und zum Wahnsinn, wie ihn das Jahrhundert der Logik, das siebzehnte, in einer weiten Bedeutung der Befunde zu fassen suchte: nämlich als einen Ausfall an Zielgerichtetheit. Rückerinnerung und Vorahnung verlöschen. Die Wahrnehmung bleibt punktualisiert im Gegenwärtigen gefangen. Sofern personale Identität aber Rückkehr zu sich selbst verlangt, macht der Zustand des Insichversunken­seins laut Hegel das „Allgemeine in jeder Art von Verrücktheit“ aus. Natürlich ist Bachs Musik der Abweichung keine des Wahnsinns. Wenn aber der Irrsinn, der geplant ir­rende Sinn der Musik - oft genug ohne Motivbindung an den Kontext des Satzes - die koordinierende Einbildungskraft aufweicht, dann reflektieren solche Verfahren immer auch den Konfusionsschock des neuzeitlichen Subjekts und seine wechselhafte Befind­lichkeit der Seele. Seit der Spätscholastik muss die christliche Offenbarung durch innerweltliche Sinnentwürfe beerbt werden, vorrangig durch die Anverwandlung der göttlichen Attri­bute von Allmacht und Allwissenheit an die Souveränität eines Subjekts, das seiner Methodenstrenge schließlich auch die Existenz Gottes unterwirft. Mag Descartes’ fun­damentaler Zweifel zunächst nur umso solider einer gottfundierten Weltinterpretation zuarbeiten: Seine Courage einer philosophischen Gewissheitsradikalität wird zum Portal für den Einzug der Transzendenz in die Immanenz einer Welt, die in eine des Geistes und der Körper zerbricht. Von nun an wird dieser Bruch zur Wunde des Säkularisie­rungsprozesses und seiner geistsinnlichen Paradoxien. Und wieder sind es Pascals Pen­sées , die solche Paradoxien mit detektivischer Hellsicht aufspüren. ​ „Welche Chimäre ist denn der Mensch! Welche sonderbare Erscheinung, welches Chaos, welcher Gegenstand des Widerspruchs! Richter über alle Dinge, schwacher Wurm von Erde, im Besitz des Wahren, voll von Ungewissheit, Preis und Auswurf des Universums! Wenn er sich rühmt, erniedrige ich ihn, wenn er sich erniedrigt, rühme ich ihn und widerspreche ihm immer, bis er begreife, dass er ein unbegreifliches Monstrum ist.“ ​ Um Paradoxes geht es auch in Bachs Chromatischer Fantasie . Um das Paradox, Form ohne die Gewalt der Formung zu realisieren, und um die paradoxe Vermittlung von satztechnischer Konstruktion und expressiver Wirkung. Verwundert es noch, dass auch die Klangwogen der Fantasie kurz nach Beginn sturzartig absinken und den Tonraum vertikal ausloten? Bspl. 10: Bach, Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll (BWV 903) Nach dem flüssigen Toccata-Ton dann eine zerklüftete Melodik mit rasch wechselnden Einfällen und bizarrer Überraschungsharmonik. Indem Bach den Kadenzteil der Fanta­sie zum wortlos opernhaften Vokal-Rezitativ auflädt - hochchromatisch, mit Seufzer­motiven, enharmonischen Coups und furiosem Reißwerk - komponiert er eine spre­chende und doch von jeder verbalen Einengung befreite Szene mit breiter Affektnuan­cierung. Bspl. 11: Bach, Chromatische Fantasie und Fuge Mag die ebenso melancholische wie schmerzhaft erregte Klage der Fantasie auch relativ konstant bleiben: Der Kontrast zwischen Toccata- und Rezitativ-Teil sowie die Affektschattierungen innerhalb des von Laufwerk und ariosen Einschüben durchsetzten Rezitativs lassen im Ausdruck des Umherirrens bereits ein Epochenthema der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anklingen. Nämlich das Thema von der Flüssigkeit des Subjekts - ein Projekt vor allem der um 1710 geborenen Generation eines Diderot, Hume oder Sterne. Abgesehen davon, dass auch Pascals Pensées aphoristisch angelegt sind, sprunghaft, unmethodisch und angepasst ihrem Sujet, dem wandelhaften Ich: Nicht weniger als mit Pascals rhapsodischer Diagnostik kommuniziert das Wechselhafte und Flüchtige der Charaktere in Bachs Chromatischer Fantasie mit der Moderne jenes 18. Jahrhunderts, dem der Philosoph David Hume den menschlichen Verstand als eine rasante Folge von Eindrücken und Vorstellungen enträtselt; als ein ​ „Bündel oder Kollektiv verschiedener Perzeptionen [...], die einander mit unbegreifli­cher Schnelligkeit folgen und beständig in Fluss und Bewegung sind“. ​ Wie von der vorgreifenden Vergangenheit Pascals, so fällt auch rückwirkend von der Ära Diderots her Licht auf Bachs Komponieren. Mit dem Ende der gottgegeben „abso­luten, wahren und mathematischen Zeit“, die für Isaac Newton noch „gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand“ dahinströmt, beginnen Dauer und Kontinuität fragil zu werden. Was in Laurence Sternes Tristram Shandy die organi­sche Erzählzeit zersetzt, basiert auf Modellen der Abschweifung und der Assoziation sowie auf massiven Kausalverstößen. Ähnlich nimmt sich in Bachs Chromatischer Fantasie die Macht der Formung im Kommen und Gehen der „Gemütsbewegungen“ zurück. Der barocke Zentralaffekt, seine Beständigkeit in Tonart und Charakter, wird brüchig, sobald Bachs rhapsodische Imagination das Fantastische der Fantasie entzün­det. Sie ermöglicht eine Libertinage der Einbildungskraft, deren losgelassene Sprache das Subjekt in den Effekt seiner Affekte auflöst. Etwas wie eine Musik des Schaums wird hörbar. Eine ungebundene, diskontinuierliche Musik mit dem Verwandlungszau­ber des verminderten Septakkords und einem Fundus an Trugschlüssen und enharmoni­schen „Betrügereien“, die zeitgenössische Abhandlungen als ein Charakteristikum des Fantasie-Typus rühmen. Und es ist diese auf Unberechenbarkeit angelegte Musik, deren Zufallsspur uns wieder zum Motivkreis des Abgrunds zurückbringt. Bspl. 12: Bach, Chromatische Fantasie und Fuge Und doch bleibt die Chromatische Fantasie jenem wohltemperierten System integriert, das den Transfer der Harmonien sichert und noch die gewagtesten Passagen in der to­nalen Syntax verankert. Wie Pascal trotz seiner Bevorzugung der „raisons du cœur“ und ihrer gottempfänglich affektiven Kraft den klaren „Geist der Geometrie“ und des Ver­standes für unabdingbar und die Symmetrie zum Ideal des seelischen Gleichgewichts erklärt, so wird auch das entregelte Rezitativ der Chromatischen Fantasie von einer äußerst durchdachten, wenngleich nahezu unhörbaren konstruktiven Balance getragen. Auch Bach organisiert den Strudel der Emotionen nach rationalen Kriterien, auch bei ihm schärft sich die Logik als Pathologik zu einer Logik des Pathos, die die Affekte erst zum Sprechen bringt. Deshalb sind es auch immer wieder austarierte Ordnungsmuster, die bei Pascal wie bei Bach zum Echoraum göttlicher Resonanzen werden. Verbirgt sich der entschwindende Gott womöglich in der planvollen Disposition und Ökonomie der Musik als einem seiner letzten Refugien? Bachs Chromatische Fantasie wird in ihrer konstruktiven Affektrhetorik zum Zeugnis für die frühe Geschichte und Passion des Subjekts, das Pascal in seiner Verspanntheit zwischen Vernunft und Leidenschaft diagnostiziert. ​ „Im Menschen ist ein innerer Krieg zwischen der Vernunft und den Leidenschaften. Er könnte einigen Frieden genießen, wenn er nur die Vernunft ohne die Leidenschaften oder nur diese oder jene hätte. Aber da er beide hat, kann er nicht ohne Krieg sein, denn er kann nicht Frieden haben mit dem einen ohne im Krieg zu sein mit dem andern. So ist er immer geteilt und mit sich selbst im Streit.“ ​ Was Pascal und Bach verbindet, sind ihre Messungen der Stimmungen und Verstimmun­gen und der Endlichkeitsfähigkeit einer auf potenzielle Allmacht ver­pflichteten Subjektivität, der der Glaube an die religiöse Transzendenz nicht mehr un­verbrüchlich gegeben ist. Inmitten dieser wachsenden Jenseits-Verschattung aber kontu­riert sich die frühmoderne Conditio humana von Macht und Ohnmacht, von Steigerung und Sturz besonders drastisch. Es sind Bachs Abstiegs- und Aufstiegsfiguren, die eine symbolische Chiffre dieser Kondition liefern: Die Katabasis ins Abgrün­dige und die Anabasis aus dem Abgründigen samt der zumeist orgelpunkt­artigen Konsolidierung der wiedergewonnenen Basis. Es handelt sich um Dop­pelungs- und Spaltungsfiguren, die sich im Formenkreis des Widerstreits zwischen Tä­tigkeit und Kontemplation, zwischen Divertissement und Melancholie brechen. So wie in Bachs Fünftem Brandenburgischen Konzert . In dessen erstem Satz nimmt eine 30-taktige Pianissimo-Partie, ausgehend von fis-Moll, die kompositorische Kom­plexität zurück, um sich vom Geist der variativen Arbeit und vom motivisch-themati­schen Verbund zu lösen: ein eher statisches Feld, meditativ, motivmonoton, ziellos, eine schwebende Partie der Absence und der gestauten Zeit. Und auch hier wieder ein Ab­sinken des Basses über 14 Takte bis zum Kontra-H, ein Absinken, das auch die Oberstimmen erfasst. Schließlich dann die Aufhebung des Sogs und deren Absicherung durch den Orgelpunkt auf E, kombiniert mit einer Aufwärtsbewegung in den Celli und im Cembalo. Kombiniert aber auch mit einer hochdissonant beginnenden, fast bedroh­lich akzentuierten Trillerkette von Flöte und Violine als einer Art Tremor und Erzittern in der Tradition der Spannungsfiguren des „Stile concitato“. Die Musik spannt sich von innen her, chromatisch changierend, um den Zirkel der Sequenz in Richtung Ritornell und damit auf die Konsistenz des Satzes hin zu durchbrechen. Bspl. 13: Bach, Brandenburgisches Konzert Nr. 5, 1. Satz Vom Kontext her entschlüsselt sich die Enklave dieser getupften Klangfläche als ein Refu­gium des meditativen Habitus innerhalb einer Dramaturgie des operativen Geistes. Bachs Musik lässt ein, was die idealistische Philosophie als eine Störung der Einheit von Einbildungskraft und Verstand, als Gedankenflucht, gar als eine Überwältigung des Denkens durch den Gegenstand problematisieren wird. Ruhe, fern jeder produktiv ver­wandelnden Tätigkeit und Gedächtnisarbeit, wird im Fünften Brandenburgischen Kon­zert mit einer leicht melancholischen Färbung zur Disposition gestellt. Aber auch - in­mitten einer schwindenden Transzendenz und darin Pascal wahlverwandt - mit einem Hang zur Leere. Auf welche Weise also kann der „Dieu caché“, der „verborgene Gott“, noch antworten? Und wie müssen die Sensoren und Sensorien beschaffen sein, um seine Winke und Zei­chen zu empfangen? Pascals Erfahrung vom Universum jedenfalls lässt ahnen, wie der leere Raum auf Signale hin abgehört wird. ​ „Le silence éternel de ces espaces infinis m´effraie.“ ​ „Das ewige Schweigen der unendlichen Räume, das schaudern macht“, wird zu einer Art Detektor der negativen Stille in einer zunehmend entgöttlichten Welt. Erinnern wir uns, dass schon geraume Zeit vor Pascal und Bach in Gutenbergs Bibeldruck mit be­weglichen Lettern das göttliche Wort in Silben- und Buchstabenkombinationen zerfällt. Und erinnern wir uns, wie Shakespeares Sprachspiele, seine berüchtigten puns, jede Verstandessicherheit in den Hinterhalt des Absurden treiben. Solche Erosionen durch­setzen die theologisch gerundete Erzählung der Welt mit den Rissen der Kontingenz. Und was die Aufklärung betrifft: je heller das Licht der Vernunft zu strahlen beginnt, umso dunkler werden die Schatten. Den Schrecken des Amorphen jedenfalls kann das allzu Geformte und Genormte am wenigsten verleugnen. Übrigens kommt auch Pascal an einer Stelle der Pensées auf die Orgel zu sprechen: ​ „Man glaubt ganz gewöhnliche Orgeln zu berühren, wenn man den Menschen berührt. Es sind in der Tat Orgeln, aber seltsame, veränderliche, wandelbare, deren Tasten nicht nach den Stufen der Tonleiter angeordnet sind. Diejenigen, die nur auf den gewöhnli­chen Tasten zu spielen verstehen, können keine Akkorde hervorbringen. Man muss wis­sen, wo die Tasten sind.“ ​ Bach wusste es. Seine kompositorischen Grenzgänge legen Zeugnis davon ab, wie die „or­gues bizarres, changeantes et variables“ zu spielen sind: gegen die Konvention und mit dem Ohr am „inneren Krieg zwischen Vernunft und Leidenschaft“, dem auch Pascal unentwegt nachgespürt hat. Denn, so der Philosoph Schelling, ein anderer Experte des Abgründigen: ​ „Noch immer liegt im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden.“ Bspl. 14: Bach, Pièce d’Orgue G-Dur (BWV 572) ​ ​ ​ Musikbeispiele Bspl. 1: Bach, Präludium und Fuge e-Moll (BWV 548) [Tr. 6, 1´26 - 2´39] [1´13] (Helmut Walcha) [Deutsche Grammophon 463 017-2] Bspl. 2: Bach, Fantasie G-Dur (BWV 572) [Tr. 9, 6´30 - 8´52] [2´22] (Helmut Walcha) [Deutsche Grammophon 463 017-2] Bspl. 3: Bach, Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) [Tr. 10, 3´54 - 4´29] [0´35] (Helmut Walcha) [Deutsche Grammophon 463 017-2] Bspl. 4: Bach, Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) [Tr. 10, 3´54 - 5´20] [1´26] (Helmut Walcha) [Deutsche Grammophon 463 017-2] Bspl. 5: Bach, Präludium (Fantasie) a-Moll (BWV 922) [Tr. 5, 1´30 - 3´05] [1´35] (Alfred Brendel) [Philips 420 832-2] Bspl. 6: Bach, Brandenburgisches Konzert Nr. 5 (BWV 1050), 1. Satz [Tr. 4, 7´51 - 9´43] [1´52] (Musica Antiqua Köln / Reinhard Goebel) [Archiv Produktion 431 702-2] Bspl. 7: Bach, Präludium und Fuge a-Moll (BWV 894) [Tr. 4, 4´20 - 5´00] [0´40] (Christiane Jaccottet) [Intercord 830.884] Bspl. 8: Bach, Partita B-Dur (BWV 825), Giga [Tr. 8, 1´21 - 2´03] [0´42] (Maria João Pires) [Deutsche Grammophon 447 894-2] Bspl. 9: Bach, Präludium und Fuge g-Moll (BWV 535) [Tr. 6, 0´59 - 2´21] [1´22] (Wolfgang Stockmeier) [Art & Music 20.1540] Bspl. 10: Bach, Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll (BWV 903) [Tr. 6, 0´00 - 0´58] [0´58] (Alfred Brendel) [Philips 420 832-2] Bspl. 11: Bach, Chromatische Fantasie und Fuge [Tr. 6, 2´47 - 5´36] [2´49] (Alfred Brendel) [Philips 420 832-2] Bspl. 12: Bach, Chromatische Fantasie und Fuge [Tr. 6, 6´09 - 7´25] [1´16] (Alfred Brendel) [Philips 420 832-2] Bspl. 13: Bach, Brandenburgisches Konzert Nr. 5, 1. Satz [Tr. 1, 3´15 - 4´47] [1´32] (English Chamber Orchestra / Benjamin Britten) [DECCA 443 847-2] Bspl. 14: Bach, Pièce d’Orgue G-Dur (BWV 572) [Tr. 14, 7´47 - 9´43] [1´56] (Andrea Marcon) [Hänssler Edition Bachakademie CD 92.090] ​ ​ ​

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  • Johannes Bauer, Subjekt und System in Adornos Musikästhetik

    Im Angesicht der Sphinx Subjekt und System in Adornos Musikästhetik Les "blancs" en effet, assument l'importance Mallarmé, Un coup de dés , Préface Seit der spätnominalistischen Zersetzung des theologischen Ordo muß bürgerliche Rationalität dem Auflösungsprozeß der Transzendenz aus eigener Kraft standhalten: in welt- und immanenzträchtigen Sinnentwürfen, die das Telos christlicher Offenbarung zu beerben haben. Schon im "omnia ubique" des Nikolaus von Kues schwingt in antifeudaler Emphase jener Bewältigungsakt der frühen Moderne mit, der das Entschwinden des göttlichen Signifikanten mit dessen mundaner Omnipräsenz im Namen einer neuen Anthropologie zur Deckung zu bringen sucht.(1) Ihre gegen den Monotheismus eines absoluten Mittelpunkts gerichtete Intention entband das Partikulare vom Blick des hierarchischen Gefälles, ohne es ins Mindere oder Leere fallen zu lassen.(2) Das markanteste Phänomen solcher Säkularisierung repräsentiert wohl die Aufhebung der Suisuffizienz des summum bonum im Identitätsdogma neuzeitlicher Subjektivität. Dessen ästhetische Tragweite wird offenkundig, sobald das profanierte Theologumenon der causa sui seine Zeit- und Gedächtnisstrategien zur Wirkung bringt. Entwirft sich doch der Einheitsgedanke des Person-Begriffs in Korrespondenz zur Gattungsvernunft gemäß einer Fortschrittseuphorie, die als Allianz von Finalität und Ethos schließlich mit Beethovens Symphonik ihren musikalischen Höhepunkt als einen der bürgerlichen Kunst schlechthin erreicht. Was Kant als die innerste Zelle neuerer Mentalitätsgeschichte formuliert hat, die possessive Kontinuität des "Ich denke" , das "alle meine Gedanken (muß) begleiten können" (3), benennt als "durchgängige Identität des Selbstbewußtseins"(4) das ökonomische Fixum einer subjektzentrierten Zeit, der auch die Entwicklung der Musik seit dem stile rappresentativo bis in die jüngste Vergangenheit hinein verpflichtet bleibt: ihr Sprach- und Ausdruckscharakter ebenso wie die Telos-Dramaturgie ihrer Formen. Über den zerrütteten Status des Subjekts in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts hat sich Adorno keine Illusionen gemacht. Gleichwohl verstehen sich seine musikphilosophischen Reflexionen als eine Gratwanderung zwischen der kompromißlosen Entzauberung des Subjektmonopols und dem Einspruch gegen eine defätistische Aufkündigung des Subjektmoments in einer bis zur potentiellen Nichtigkeit des einzelnen verwalteten Welt. Dieses Beharren Adornos auf dem Punkt einer radikalen Identitätskritik, die die Ethik idealistischer Provenienz überschreitet und dennoch an einem letzten Rest von Subjektethos im Zeichen des Mimetischen festhält, stellt der Musik der Gegenwart mit Blick auf das ästhetische principium individuationis eine ihrer entscheidenden Fragen: welche Auswirkung hat der Zerfall der subjektexpressiven Idiomatik auf die Möglichkeit zeitgenössischen Komponierens? Adorno hat stets moniert, das Verlöschen der Subjektspur als Hinfälligkeit und Gleichgültigkeit des Ausdrucks zu verbuchen, nie aber hat er restaurativ bezweifelt, daß die serielle und postserielle Musik das "Expressionsideal irreversibel überholt"(5) habe. So antwortet die "gegenwärtige Rebellion gegen das Subjekt" auf das Faktum, "daß die jüngste Geschichte, die fortschreitende Entmächtigung des einzelnen Individuums bis zur drohenden Katastrophe des Ganzen, den unmittelbaren Ausdruck von Subjektivität mit Eitelkeit, mit Scheinhaftem und Ideologischem überzogen hat. Das Subjekt (...) hat schließlich selber als ephemer sich entblättert. Während es so tut, als wäre es der Schöpfer der Welt, oder der Weltgrund, ist es, englisch gesagt, fake , bloße Veranstaltung dessen, der sich aufwirft, sich aufspielt, während an ihm real kaum mehr etwas liegt. (...) So wenig Musik, Kunst überhaupt, bar des subjektiven Moments gedacht werden kann - sie muß eben jener durch den Ausdruck sich bespiegelnden und damit allemal affirmativen Subjektivität sich entschlagen, die der Expressionismus geradewegs von der Neuromantik ererbte".(6) Subjektivität desillusioniert sich zur transitorischen Kategorie der Geschichte. Was Adorno deshalb als die "paradoxe Schwierigkeit aller Musik heute" eruiert, den "Verlust objektiv vorgegebener musikalischer Sprache", bedeutet für den Formenkreis des Postexpressionismus zunächst nichts Geringeres als den "Zwang", eine "eigene Sprache sich erst (...) schaffen" zu müssen, "während Sprache als seinem Begriff nach auch jenseits und außerhalb der Komposition Stehendes, als ein sie Tragendes, nicht aus dem puren Willen des Einzelnen sich schaffen läßt"(7). Daß die abendländische Musik seit der Organalpraxis der Notre-Dame-Schule und der frankoflämischen Kontrapunktik dem gesellschaftlichen Prozeß von Rationalität und Rationalisierung im Sinne Max Webers eng verbunden bleibt, hat den Materialbegriff Adornos entscheidend beeinflußt(8). Sofern nämlich Musik an der Aufklärung teilhat, an Geist und Kritik, bedingt das Anwachsen ihrer immanenten Reflexion als "Herrschaft über bloß Natürliches" und damit als Anwachsen ihrer "Subjektivierung und Humanisierung" zugleich ihre "Sprachwerdung"(9). Der "Sprachcharakter" von Musik ist daher Adorno zufolge seiner Genese nach "doppelten Wesens". Systematisch und transsubjektiv, wenngleich subjektoffen aufgrund seiner "Verfügung über das Naturmaterial", bleibt er substruktiv immer auch dem Erbe des "Vorrationalen, Magischen, Mimetischen"(10) verpflichtet. Indem jedoch die Versprachlichung der Kompositionen deren mimetische Qualität über eine zunehmende Subjektivierung und Psychologisierung in Konvention wie in Ausdruck verwandelt, ist der okzidentalen Musik damit ihr Widerspruch gesetzt. "Je mehr sie, als Sprache, den Ausdruck als Nachahmung eines Gestischen, Vorrationalen in die Gewalt nimmt und verstärkt, um so mehr arbeitet sie zugleich auch, als dessen rationale Bewältigung, an seiner Auflösung."(11) Mit der rigorosen Aufhebung des Idiomatischen um des "reinen, unverdinglichten, unvermittelten Ausdrucks willen" sieht sich die zeitgenössische Musik schließlich der Aporie gegenüber, des "Ausdrucks selbst nicht mehr mächtig" zu sein. Für Adorno bleiben deshalb Ausdrucksgestus, Sprachcharakter und Subjektspur der Musik untrennbar einander legiert. Entsprechend seiner Kritik am neuzeitlichen Wissenschaftsideal und dessen Leitdogma, Objektivität resultiere einzig aus der Eliminierung des Subjekts, gilt ihm als unverrückbar, "daß die Emanzipation der Musik von der Sprache jener nicht gelingen kann, indem sie (...) sich vermeintlich vorsprachliche Strukturen zum Modell nimmt und einbildet, es rede aus ihr das Sein, wenn nur das Subjekt aufhört zu reden"(12). Zudem ist Adornos Absage an den Mythos des Ersten jegliches Material immer schon vermittelt: sedimentiertes gesellschaftliches Bewußtsein im Rohzustand. Daher auch seine auf Marx reflektierende Zurückweisung jeglicher Art kompositorischer Materialvergötzung, die den "Gesetzen von Natur" zu folgen scheint, "während die Materialordnungen, die sich kosmisch gebärden, selber bereits das Produkt menschlicher Veranstaltungen sind (...). Verblendet erhebt man ein von Menschen Gemachtes zum Urphänomen und betet es an, der authentische Fall des Fetischismus"(13). Sind nach Adorno Kunstwerke das "verborgene gesellschaftliche Wesen, zitiert als Erscheinung"(14), dann führt, sofern das Wesen erscheinen muß, um mit Hegel zu reden(15), die Aura des Geistes der Kompositionen zu deren technischer écriture. Solche Akzentuierung der Faktur als der Matrix des Wahrheitsgehalts läßt mit dem Formalismus traditioneller Hermeneutik zugleich auch, indem sie Form als "sedimentierten und modifizierten Inhalt"(16) denkt, sämtliche Widerspiegelungstypologien einer Reduktion von Ästhetik auf Soziologie hinter sich. Das Gesellschaftliche der Kunstwerke ist vielmehr "nicht nur ihre Anpassung an auswendige Desiderate von Auftraggebern oder vom Markt sondern gerade ihre Autonomie und immanente Logik. Wohl erwachsen ihre Probleme und Lösungen nicht jenseits der gesellschaftlichen Normsysteme. Aber sie erringen gesellschaftliche Dignität erst, indem sie von diesen sich entfernen; die höchsten Produktionen negieren sie"(17). Gesellschaft manifestiert sich in den Kompositionen als fait social, um sich mit deren Autonomie zur Transzendenz gesellschaftlicher Empirie zu wandeln, zur Suspension von Naturbeherrschung durch äußerste Anspannung der ästhetischen Konstruktion. So kritisiert die mimetische Rationalität der Kunst die der ökonomischen Wirklichkeit als eine partikulare und irrationale selbstvergessener Mittel. Kunst als eine Praxis jenseits der Praxis dekuvriert deren realen Bann im "Einspruch gegen das Organisationsprinzip selbst, gegen Herrschaft über innere und auswendige Natur"(18). Adornos an der Struktur des Werks, seinem Zeitkern wie seiner Autonomie ausgerichteter Begriff einer Vermittlung von Musik und Gesellschaft kontrastiert deshalb Kunstsoziologien von der Fasson klarer Gesellschaftspositionen und Klassenstandpunkte vor allem als eine Absage an die Direktive der Aussage. "Die krude Zurechnung zu Klassen und Gruppen ist bloß assertorisch (...). Bis heute hat es Musik nur als ein Produkt der bürgerlichen Klasse gegeben, das in Bruch und Gestaltung die Gesamtgesellschaft zugleich verkörpert und ästhetisch registriert. (...) Vollends die privaten politischen Gesinnungen der Autoren stehen meist mit dem Gehalt der Werke bloß im zufälligsten und unmaßgeblichsten Zusammenhang."(19) Kehrt in "großer Musik" Gesellschaft wieder, so stets "verklärt, kritisiert und versöhnt, ohne daß diese Aspekte mit der Sonde sich trennen ließen". "Als dynamische Totalität, nicht als Reihung von Bildern wird große Musik zum inwendigen Welttheater"(20). So gilt der Beethoven des heroischen Stils Adorno zwar als der Repräsentant einer Musik, die in virtuoser Dialektik die Erzeugung des Formgesetzes aus Freiheit als deren Notwendigkeit suggeriert, nach Hegels Terminologie also Allgemeines und Besonderes zum Einstand zwingt. Um den Preis jedoch, aufgrund einer nahezu instrumentellen Brechung des Materials zugleich auch die Gewalt der Totale zu stabilisieren. Nach Adornos Theorem des Pakts zwischen Subjektivismus und Verdinglichung(21) führt die "Dynamisierung der ästhetischen Formen durch den Subjektivierungsprozeß" stets ein "Maßloses und Zerstörendes" mit sich. Denn "Form, die gänzlich vom formenden Subjekt in die Gewalt genommen ist, verewigt zugleich dessen Gewalttat. Das souveräne, seiner bloßen Naturbestimmung entrückte Subjekt ist ungebändigter Natur wahlverwandt; in der Autonomie kehrt die Barbarei wieder, die sie mit der Forke vertilgte, bei Beethoven wie bei Fichte. Daß die integral durchgestalteten Kunstwerke dem Schein von Organismen sich nähern, nähert sie zugleich dem brutal Naturwüchsigen"(22). Gesellschaftliche Widersprüche dokumentieren sich für Adornos ästhetische Diagnostik als Probleme der Form. Von deren Logizität her akzentuiert er in Perspektive auf den bürgerlichen Antagonismus von Dynamik und Statik auch den Reprisenfokus bei Beethoven(23). Basiere doch dessen Wahlverwandtschaft mit dem idealistischen Sublimierungskodex auf dem als Endzweck der Gattung projizierten bürgerlichen Prinzip von Ich und Arbeit und seiner ethisch legitimierten Aufspreizung zum absoluten: mit Ausblendung jener sozial unteren Sphäre, die Kants erkenntnistheoretische Konnotation von Sinnlichkeit und Pöbel verräterisch präzis bestimmt hat(24). Wird die Reprise "ebensowohl durch den dynamischen Verlauf herbeigeführt, wie sie ihn als sein Resultat nachträglich gleichsam rechtfertigt", so hat Beethoven "in dieser Rechtfertigung (...) tradiert, was dann unaufhaltsam über ihn selbst hinaustrieb. Der Einstand des dynamischen und statischen Moments aber koinzidiert mit dem geschichtlichen Augenblick einer Klasse, welche die statische Ordnung aufhebt, ohne doch selbst der eigenen Dynamik fessellos sich überlassen zu können, wenn sie nicht sich selbst aufheben will (...). Daß aber die immanente Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft diese sprengt, ist in Beethovens Musik, die höchste, als Zug ästhetischer Unwahrheit eingeprägt: was ihm als Kunstwerk gelang, setzt durch seine Gewalt auch als real gelungen, was real mißlang, und das affiziert wiederum das Kunstwerk in seinen deklamatorischen Momenten"(25). So rechnet Adorno das "formalistische Residuum"(26) der Beethovenschen Reprise fast ausnahmslos der Semantik von Affirmation, Zwang und Herrschaft zu, sofern es das "Resultat der Dynamik, des Werdens, als die Bestätigung und Rechtfertigung des Gewesenen"(27) präsentiere: mit einem Gestus, der den Akt der "Legitimation"(28) zuweilen der "Gewalt des repressiv Niederschmetternden"(29) verschränke. In der Reprise bleibe Musik somit als "Ritual der bürgerlichen Freiheit, gleich der Gesellschaft, in der sie ist und die in ihr ist, der mythischen Unfreiheit hörig"(30). Über Hegels Heteronomiekritik schärft Adornos Musikphilosophie die Konstruktion der Bewegung aus den Sachen gegen die Abstraktheit ästhetischer Dikta, indem sie mit der medialen Struktur der Phänomenologie des Geistes ernst macht und den "Vorrang des Objekts"(31) in Wahlverwandtschaft zu Nietzsches Gedanken vom "Leitfaden des Leibes"(32) seinem Naturgrund nach interpretiert. Hinterlassen die "Wunden des Geistes" bei Hegel keine "Narben"(33), bleibt für Adorno "Leiden auf den Begriff gebracht, stumm und konsequenzlos"(34). Gegen Hegels System-Macht des Vergessens(35) steht Adornos Eingedenken des Traumas und seine Insistenz auf dem sinnlichen Moment des Ausdrucks in der Tradition der Mnemosyne Hölderlins. Daß für Adorno "Synthesis (...) die Losung des Idealismus"(36) ausmacht, "große Musik" hingegen als "begriffslose Synthesis"(37) zu sich kommt, variiert diese Differenz im Spannungsverhältnis von Musik und Philosophie. Der erkenntniskritische Impuls, daß der Gedanke auf sein materiales Substrat verwiesen, "kein Sein ohne Seiendes"(38) sei, intendiert nichts Geringeres, als daß, was als Geist und Vernunft firmiert, seiner eigenen physischen Matrix innewerde. Wenn Adorno ästhetisches Verhalten einmal als die "Fähigkeit, irgend zu erschauern", als das "vom Anderen Angerührtsein" präzisiert, ein "Bewußtsein ohne Schauer" dagegen als das "verdinglichte"(39), setzt er die Motivtradition jenes frisson fort, den schon Goethes Faust als Lebenselixier des "Schauderns" preist: als Lysis eines tödlichen "Erstarrens"(40), dem der homo oeconomicus der Moderne im Kaltsinn des Kalküls und der Phantasielosigkeit verfiel. Konkretisieren läßt sich diese mimetische Spur wider das Pandämonium zerstörter Empathie an Adornos Strawinsky-Studien, die um den Befund von "Entseelung"(41) und Verdinglichung kreisen. Ob Strawinskys Kompositionen "objektiv falsches Bewußtsein" produzieren oder nicht; ob sie sich "mit dem Opfer" identifizieren oder "mit der vernichtenden Instanz"; ob sie womöglich gar eine "gelungene" Imago der "Entmächtigung des Subjekts" gegenüber dem "mörderischen Kollektiv"(42) repräsentieren, muß Adorno zufolge zunächst einzig von der Faktur und von der Erfahrung her geklärt werden, daß "etwas an Strawinskys Musik immanent nicht [stimmt]"(43). Stets nämlich "sympathisiert" das "ästhetisch Schlechte mit der Ideologie. Immanente Mängel von Kunst sind Male gesellschaftlich falschen Bewußtseins"(44). Die Bedingung kompositorischer "Transzendenz" - "daß sie in jedem Augenblick geworden ist und ein Anderes, als sie ist: daß sie über sich hinausweist"-, bleibt als "Einspruch gegen Mythos und immergleiches Schicksal, gegen den Tod selber" auch für eine Musik "im Stand objektiver Verzweiflung"(45) verbindlich. "Freiheit selbst ist ihr immanent notwendig"(46). Von dieser Sicht her hat Strawinsky die "musikalische Pflicht der Freiheit verleugnet". "Während vermöge der puren Zeitform seine Musik weitergeht (...), geht sie, als prinzipiell nur aus Wiederholungen montierte, nicht weiter. Ihr Gehalt verkehrt sich."(47) Strawinskys Repetitionen boykottieren Adornos Ausdrucksmodell nach die Vermittlung musikalischer Ereignisse und deren durch "Qualitäten des Vorher, des Nachher, des Jetzt und ihrer Relationen"(48) artikulierten Zeitverlauf. Wird Strawinsky die "Zeit selber, als bloße, losgelassene Vergängnis zum Unheil, und sie ästhetisch zu eskamotieren zum Phantasma von Rettung"(49), wäre im Unterschied dazu das "organische Ideal" der Musik "nichts anderes als das antimechanische; der konkrete Prozeß einer werdenden Einheit von Ganzem und Teil, nicht ihre bloße Subsumtion unter den abstrakten Oberbegriff und danach die Juxtaposition der Teile"(50). Adornos Argumentation im Fall Strawinskys zeigt, wie deren hermeneutische Praxis immer schon gegen jede positivistische Deskription vom kritischen Sensorium geleitet wird. Scheint deshalb einer der maßgeblichen Einwände Adornos gegen Strawinsky - dessen Stereotypien verstießen gegen die im Wechsel des Neuen sich entwickelnde Temporalität von Musik - auf eine apriorische Vorentscheidung zu setzen, dann nur so lange, als deren materiale Basis in Adornos Mimesis-Verständnis ausgeblendet bleibt(51). Nicht die "Konzeption eines Ausweglosen"(52), sondern deren Abwehr in den Fesseln statischer Iterationen nämlich trieben Strawinskys Kompositionen der Affirmation des Mechanischen zu. Als physiognomische Entfaltung seiner Theorie des "Ausdrucks", der "allemal aus dem Leiden des Subjekts am Objekt hervorgeht"(53), diagnostiziert Adorno gerade in der "Ausdrucksfeindschaft" das "sinnfälligste Moment von Depersonalisierung bei Strawinsky" und seiner "impassibilité"(54). So wird trotz des Ausdrucks des Ausdruckslosen die Absage an den expressiven Habitus "unwahr und reaktionär", indem die "Gewalt, die damit dem Individuellen widerfährt, unmittelbar als Überwindung des Individualismus erscheint"(55). Anders als die Schockbewältigung beim "mittleren Schönberg" durch "Angstbereitschaft" und Subjektbewahrung akzeptiere Strawinskys Elimination des Individuierten, "daß die Schocks nicht sich zueignen lassen. Das musikalische Subjekt verzichtet darauf, sich durchzuhalten, und begnügt sich damit, die Stöße in Reflexen mitzumachen. (...) Das [aber] ist das innerste Pseudos des Objektivismus: die Vernichtung des Subjekts durch den Schock wird in der ästhetischen Komplexion als Sieg des Subjekts und zugleich als dessen Überwindung durch das an sich Seiende verklärt"(56). Strawinskys "Trick, Selbsterhaltung durch Selbstauslöschung, fällt ins behavioristische Schema der total eingegliederten Menschheit" und überführt den Komponisten der "permanenten Regression" in Adornos Analysen als einen "Exekutor" des "Fortschritts zur negativen Geschichtslosigkeit"(57). Bereits bei Hegel zersetzt der Druck der sozialen Antagonismen das Ideal des ästhetischen Organismus und treibt die Versöhnungsarbeit des Geistes zur Prosa des Begriffs. Daß sich Hegels Philosophie als Palliativ gegen die dissoziativen Kräfte der bürgelichen Gesellschaft entwirft, indem die Allgegenwart und Rastlosigkeit ihrer Vermittlungspräsenz darauf abzielt, keinen Teil des Systems in die Isolation und damit in einen letalen Separatismus fallen zu lassen, ist nur eine andere Facette solcher Empiriebewältigung. Diese Hypothek schreibt sich bei Adorno als Kategorie des Ernstes über die Figuren der "Stimmigkeit" des Kunstwerks und seiner "Zerrüttung" in der Moderne fort. Auch in Adornos Ästhetik der neuen Musik hat jegliches Komponierte den realen Widersprüchen verpflichtet zu bleiben. "Die Unmenschlichkeit der Kunst muß die der Welt überbieten um des Menschlichen willen. (...) Die Schocks des Unverständlichen, welche die künstlerische Technik im Zeitalter ihrer Sinnlosigkeit austeilt, schlagen um. Sie erhellen die sinnlose Welt. Dem opfert sich die neue Musik. Alle Dunkelheit und Schuld der Welt hat sie auf sich genommen. All ihr Glück hat sie daran, das Unglück zu erkennen; all ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versagen."(58) Adorno hat das Ethos ästhetischer Differenz niemals aufgegeben. Noch das späte Diktum von der "Grundfarbe schwarz" aller "radikalen Kunst heute"(59) akzentuiert deren pathographischen Erkenntnischarakter als äußersten Kontrast zum goutierbar Angenehmen(60). Hat Musik etwas mit Wahrheit und Erkenntnis zu tun, steht es ihr nicht frei, sich unbekümmert zur Chronique scandaleuse des Weltlaufs und seinen Katastrophen zu verhalten. Unter Rekurs auf das Dissonanzmotiv Hegels, Kunst müsse sich um ihrer Authentizität willen auf die "Prosa der Welt"(61) einlassen, und in Korrespondenz zu Benjamins Allegoriebegriff wandelt sich dieser Gedanke bei Adorno zur Idee von der Reflexionskraft des "zerrütteten Kunstwerks", das "mit seiner Geschlossenheit die Anschaulichkeit preis[gibt] und den Schein mit dieser. Es ist als Gegenstand des Denkens gesetzt und hat am Denken selber Anteil: es wird zum Mittel des Subjekts (...). Das geschlossene Kunstwerk nimmt den Standpunkt der Identität von Subjekt und Objekt ein. In seinem Zerfall erweist sich die Identität als Schein und das Recht der Erkenntnis, die Subjekt und Objekt einander kontrastiert, als das größere, als das moralische. Die neue Musik nimmt den Widerspruch, in dem sie zur Realität steht, ins eigene Bewußtsein und in die eigene Gestalt auf. In solchem Verhalten schärft sie sich zur Erkenntnis"(62). Das Moment der "Kunstfeindschaft"(63) in der Rebellion der Moderne gegen das republikanische Organismuskonstrukt(64) zersetzt die Homöostase des Ganzen und seiner Teile vom Typus des Aristotelischen "anankeion"(65) als scheinhafte Subsumtion. Die dialektische Zweck-Mittel-Relation von Teil und Ganzem entpuppt sich parallel zum Zerfall des philosophischen Systemgedankens als ein vom Imperativ der Form veranstaltetes Harmonieideal, das die Antagonismen der gesellschaftlichen Arena Lügen strafen. Daß Beethoven im "Molto vivace" der Neunten Symphonie , auf der rhetorischen Ebene des Gattungssubjekts also, ästhetische Zeit drastisch in die empirische implodieren läßt, den Scheincharakter des Werks punktuell sprengt und damit die Konstruktion ähnlich der Parekbase Schlegels ironisiert, bedeutet einen frühen, wenngleich symptomatischen Putsch gegen die Mnemonik des Homogenen und ihre Aura der Geschlossenheit(66). Sobald die unberechenbaren Marktdiktate der Konkurrenzökonomie im Horizont politisch enttäuschter Hoffnungen, manifest im depressiven Erwartungsriß von Französischer Revolution und Restauration, die Rudimente säkularer Theodizee zum Verschwinden brachten, zerging mit dem Konkurs des Perfektibilitätsmodells und seiner Fortschrittskomponente auch die sinnorientierte Dialektik von Zufall und Notwendigkeit. Deren Stabilisierung über die Garanten von Vernunft und Freiheit im Hegelschen Begriffskosmos wird von Kleists Erschrecken über das Zerreißen der Kausalitätsketten unter Verkehrung der Kriterien von Gut und Böse kontrapunktiert(67). Das historisch zunehmend von Unwägbarkeit und Kontingenz erschütterte, auf dem Satz vom Grund basierende Notwendigkeitsdogma beginnt sich als Allmachtsphantasie einer Subjektivität zu demaskieren, deren Sicherheitsverlangen unter paranoidem Einfluß steht. Ästhetisch kommt die Einsicht zum Tragen, das dem Eigentumsbegriff kongruente, die Interpretation der Welt im Synthesisverbund der Urteile meisternde und darin sich jederzeit präsente Bewußtseinskontinuum von dessen zielgerichteter Identifikationsarbeit zu entbinden, müsse nicht zwangsläufig - wie in den Erkenntniskonzeptionen von Descartes bis Schopenhauer - dem Wahnsinn anheimfallen. Dieser liege womöglich umgekehrt in der alten Geschlossenheitsdoktrin. Als schließlich Mallarmés Coup de dés 1897 schockhaft und befreiend zugleich die finale Dramaturgie und ihre eindimensionale, ichzentrierte Leserichtung samt ihrem Assoziationsstrom aufbrach und zersplitterte - simultan etwa zu vergleichbaren Tendenzen Eric Saties in der Musik -, legte die scheinbare Willkür seiner polyvalent gestreuten Syntax die Zufälligkeit des identitätsfixierten Erzählkanons bloß. Zudem ließ die Umwertung der Dignität zwischen dem Schwarz der Zeichen und dem Weiß der leeren Seitenpartien jene Differenz offenbar werden, die bislang vom signifikativen und narrativen Sinngötzen der Literatur und seiner Repräsentanz von Welt zum Verschwinden gebracht wurde: das Weiße enthüllte sich als der Grund, der Schrift erst zur Erscheinung, zum Sprechen und zum Verlöschen brachte. Mallarmés musikinspirierte Entgrenzungen, die mittelbar oder in direktem Einfluß insbesondere wieder auf musikalischem Gebiet Wirkung zeigten: in der Aufhebung der Rangordnung von Ton und Stille bei Cage etwa oder in Form der Improvisationsschneisen, die Boulez und Stockhausen in die geschlossene Faktur der Kompositionen trieben, überschreiten im objektivierten Werk das poetische Ich und sein Formgedächtnis um der Vielfalt einer Konstellation willen, die die Ökonomie des Diachronen zur "vision simultanée de la Page"(68) potenziert. Bleibt Mallarmés manisches Umkreisen der Zufallsthematik an den Traum vom "oeuvre pure" gebunden, mit dem "sprechenden Hinwegtreten des Dichters, der die Initiative den Wörtern überläßt"(69), und mit dem Vorrang des geformten Materials, der das dichterische Subjekt im Dickicht der Zeichen zum Verschwinden bringt, dann bricht diese Intention jenseits der "persönlich-enthusiastischen Satzführung"(70) die temporalen Verfügungs- und Einschränkungsgesten des auktorialen Autors und den Verzögerungsfilter seiner kausalen Selektionsmechanismen auf. In der Moderne antwortet solche Jetztemphase dem Ruin einer subjektdramatischen Zeit, deren Homogenität, zumal als Index der Gattungsvernunft, nur über jene Ausschlußmechanismen gewährleistet werden konnte, die Adornos Idealismus- und Sy-stemanalysen etwa im Kontext seiner Beethoven-Reflexionen aufgedeckt haben(71). Zugleich schreibt Adorno selbst die gewaltkritische Dehierarchisierung des frühbürgerlichen "omnia ubique" in der Variante des "Alles gleich nah zum Mittelpunkt" fort, um darin mit Tendenzen der zeitgenössischen musikalischen Avantgarde zu konvergieren, am auffälligsten wohl mit Stockhausens "Momentform". Auch bei Adorno richtet sich der antihierarchische Impuls gegen die Moral einer Mnemonik, deren Taxinomie von Wichtigem und Unwichtigem, von Richtigem und Falschem die an den Erkenntnisbaum gebundene Scheidung von Gut und Böse tradiert, um über dualistische Wertungsraster purifizierte Sinnstrukturen zu erzeugen. Adorno wie Stockhausen geht es um Präsenz und Intensität(72). So bestimmt Adornos Forderung nach "Abschaffung des Unterschieds von These und Argument" dialektisches Denken dahingehend, "alle Brückenbegriffe, alle Verbindungen und logischen Hilfsoperationen, die nicht in der Sache selber sind", aufzuheben: "in einem philosophischen Text sollten alle Sätze gleich nahe zum Mittelpunkt stehen"(73). Geht Hegels Formalismusschelte als eine am bloß Gesetzten und sein Struktiv, "daß die Methode mit dem Inhalt, die Form mit dem Prinzip vereint sei"(74), auf solche Dichte aus, um sie aufgrund des Subjekt-Primats schließlich doch zu unterlaufen, dann beabsichtigt Adorno, die "letzten Spuren des deduktiven Systems zusammen mit der letzten advokatorischen Gebärde des Gedankens zu beseitigen"(75). Die Aussetzung des behauptungs- und begründungsdistinkten Diskurses und seiner Vermittlungshierarchie(76) macht als mimetisches Ingenium das Ästhetische an Adornos Theorie und ihre Nähe zur Musik des radikalen Nominalismus aus. Auch diese tendiert mit der Tilgung sämtlicher Schematismen zu "Verfahrungsarten, in denen alles, was geschieht, gleich nah ist zum Mittelpunkt"(77). So zielt Stockhausens "Momentform" auf Strukturen, die den Begriff der Dauer überwinden wollen, auf Strukturen also, die im Unterschied zum Stufenschema der finalen Form "sofort intensiv sind und (...) das Niveau fortgesetzter 'Hauptsachen' bis zum Schluß durchzuhalten suchen; (...) in denen nicht rastlos ein jedes Jetzt als bloßes Resultat des Voraufgegangenen und als Auftakt zu Kommendem, auf das man hofft, angesehn wird, sondern als ein Persönliches, Selbständiges, Zentriertes, das für sich bestehn kann; Formen, (...) in denen die Konzentration auf das Jetzt - auf jedes Jetzt - gleichsam vertikale Schnitte macht, die eine horizontale Zeitvorstellung quer durchdringen bis in die Zeitlosigkeit, die ich Ewigkeit nenne: eine Ewigkeit, die nicht am Ende der Zeit beginnt, sondern in jedem Moment erreichbar ist(78). Allerdings droht mit dem Verwischen der Subjektspur zugunsten einer abstrakten "Konstruktion des Ganzen" die wiederholungsresistente Permanenz des Unverwechselbaren und Einmaligen einer Agonie der Leere und monotonen Geschlossenheit zu verfallen. Sind doch Kompositionen mit der Aufhebung des "Unterschieds von Essentiellem und Akzidentellem (...) in allen ihren Momenten" eben immer auch "gleich nahe zum Mittelpunkt". "Es gibt keinen unwesentlichen Übergang mehr zwischen den wesentlichen Momenten, den 'Themen'; folgerecht überhaupt keine Themen und in strengem Sinn auch keine 'Entwicklung'"(79). Vom statischen Aspekt des Systems her weist dieses kompositorische Integral Analogien zum "totalen Funktionszusammenhang"(80) einer ihren Zwecken nach irrationalen Gesellschaft auf, die bar des Scheins der Dynamik anankastisch erstarrt. "Schließlich gibt es ein Maß an System (...), das als universale Abhängigkeit aller Momente von allen die Rede von Kausalität als veraltet überholt; vergebens die Suche danach, was innerhalb einer monolithischen Gesellschaft Ursache gewesen sein soll. Ursache ist nur noch jene selbst. (...) Jeder [sc. Zustand] hängt horizontal wie vertikal mit allen zusammen, tingiert alle, wird von allen tingiert. (...) In der totalen Gesellschaft ist alles gleich nah zum Mittelpunkt."(81) Die Parallele zur Zwölftontechnik wird deutlich, sobald Adorno deren Wesen als ein "geschlossenes und zugleich sich selbst undurchsichtiges System" charakterisiert, in welchem die "Konstellation der Mittel unmittelbar als Zweck und Gesetz hypostasiert wird". "Die Gesetzlichkeit, in der sie sich erfüllt, ist zugleich eine bloß über das Material verhängte, die es bestimmt, ohne daß dieses Bestimmtsein selber einem Sinn diente"(82). So reduziert sich "Stimmigkeit" auf das Ideal "mathematischen Aufgehens"(83), während Adornos Gedanke, das Werk sei um so "sprechender", "je vollkommener" es "durchgebildet" sei, "Durchbildung" als die "inhaltliche Organisation des Werdenden" gerade im schärfsten Gegensatz zu "mathematischer Notwendigkeit"(84) versteht. Daß deren "Reinheit (...) immer zum kompositorischen Mangel" wird, "meldet das Bedürfnis der integralen Gestalt nach dem helfenden Subjekt an"(85), das eben von der "Ordnung der Zwölftontechnik (...) virtuell (...) aus[gelöscht]"(86) wird. Der Kreis zu den Strawinsky-Essays schließt sich, sofern dem "rationalen System" schließlich die Meisterschaft des kompositorischen Subjekts erliegt(87), das doch das "einzige Moment von Nichtmechanischem, von Leben [ist], das in die Kunstwerke hineinragt (...). So wenig Musik dem Subjekt gleichen darf (...) -, so wenig darf sie ihm auch vollends nicht gleichen: sonst würde sie zum absolut Entfremdeten ohne raison d'être"(88). Während Adorno die heroische Zeit der freien Atonalität als eine souveräne Emanzipation des Ausdrucks gegen die Allgemeinheit der schal gewordenen tonalen Sprachmuster reflektiert, versteht sich seine Kritik des Objektivismus als eine an der Unterwerfung unter das "übermächtige, sinnlose Dasein", fern der "Kraft des Subjekts"(89). Deshalb bleibe "auch das von Cage lancierte Zufallsprinzip (...) so ichfremd wie sein scheinbares Gegenteil, das serielle; auch es gehört unter die Kategorie der Entlastung des geschwächten Ichs. Der reine Zufall bricht zwar die sture ausweglose Notwendigkeit, aber ist dem lebendigen Gehör so äußerlich wie diese. (...) Statistische Allgemeinheit wird zum ichfremden Gesetz der Komposition"(90). Im Verflüssigen der Abstraktionen des trennenden Verstandes repräsentiert Hegels Kantpolemik ein theoretisches Modell, das Adornos Philosophie aufgreift und weitertreibt, ohne auf die Synthesis von Versöhnung setzen zu können: als eine Entlarvung der Schematismen des verdinglichten Bewußtseins und der Korrespondenz seiner Extreme im irrationalen Bodensatz instrumenteller Vernunft. Deren Diagnose bestimmt unter Engführung von Erkenntnis- und Gesellschaftsanalyse auch Adornos Arbeiten zur neuen Musik, die im Gedanken vom Umschlag einer Ratio manischer Naturbeherrschung in mythische Verblendung entscheidend mit der Dialektik der Aufklärung kommunizieren(91). Grundlegend bleibt die Pathographie der arbeitsteiligen Separierung von Ratio und Mimesis in ihren dichotomischen Facetten von Zeichen und Bild, Begriff und Anschauung, Wissenschaft und Kunst. "Als Zeichen kommt das Wort an die Wissenschaft; als Ton, als Bild, als eigentliches Wort wird es unter die verschiedenen Künste aufgeteilt (...). Als Zeichen soll Sprache zur Kalkulation resignieren, um Natur zu erkennen, den Anspruch ablegen, ihr ähnlich zu sein. Als Bild soll sie zum Abbild resignieren, um ganz Natur zu sein, den Anspruch ablegen, sie zu erkennen."(92) "Ratio ohne Mimesis" aber "negiert sich selbst", reduziert Denken zur "Tautologie"(93). Der Exorzismus gegen Imagination und Ausdruck schlägt in Barbarei um, der Objektivismus lükkenloser Konstruktion befördert das "in aller Kunst als deren Bedingung lauernde chaotische Moment". "Totale Materialbeherrschung und die Bewegung aufs Diffuse hin"(94) konvergieren. Zugleich gerät die Heteronomie von "entfremdeten Regeln", "bar der Spannung zum Subjekt, ohne die es Kunst so wenig gibt wie Wahrheit"(95), in ihrer Hypertrophie zur "gewalttätigen und äußerlichen Totalität, gar nicht so unähnlich den politischen totalitären Systemen"(96). Kompositionen unter dem Bann einer musikalischen Logik, von der das "Subjekt, dessen Freiheit die Bedingung avancierter Kunst ist, ausgetrieben wird", verselbständigen sich zur schicksalhaften "Höllenmaschine"(97). Immer wieder betont Adorno unter Berufung auf Ligeti, das serielle Konstruktionsprinzip laufe der Eliminierung des mimetischen Niveaus wegen Gefahr, in Willkür und Naturwüchsigkeit umzuschlagen, der entfesselte Zufall des Aleatorischen dagegen in blinde Notwendigkeit(98). Nicht anders gerinne der zu Ende gedachte "musikalische Nominalismus, die Abschaffung aller wiederkehrenden Formeln"(99), als totale Dynamik zur Statik(100). So wird ästhetisch virulent, was Adorno gesellschaftspolitisch als die Dialektik einer "zunehmenden Beherrschung äußerer und innerer Natur" ausmacht. "Indem sie das Viele reduziert, potentiell dem beherrschenden Subjekt gleichmacht und dem, was ihm an gesellschaftlichen Instanzen entspricht, verkehrt Dynamik sich selbst ins Immergleiche, in Statik. (...) Die Immergleichheit der Dynamik ist eins mit ihrem sich Zusammenziehen auf Monokratie."(101) Daß Adorno konsequent an der mimetischen Rationalität musikalischer Kompositionen, an ihrer diagnostischen Position und am Einspruch des ästhetischen Ingeniums festgehalten hat, brachte ihn in Gegensatz zu einer Musiktheorie und -praxis, der das affektive Subjektprivileg und das Formgedächtnis seines musikalischen Denkens als eine Mnemonik der Hierarchien und des Funktionalismus verdächtig wurden. Im Namen strukturalistischer Theorien sowie vor allem der Arbeiten Foucaults und Lyotards sucht in dieser Demontage des Subjekts prototypisch das subversive Lachen Nietzschescher Aphoristik dem Systemernst Hegels zu antworten. Ratifiziert wird der Abschied vom tragischen Theater der Philosophie, von seinen Wahrheits- und Moralkulissen und den Requisiten des "homo dialecticus"(102). Seitdem Marx' historisch-ökonomische Analytik und Nietzsches Erkenntniskritik die transhistorischen Stilisierungen der Metaphysik aufgedeckt und deren Geltung durch die Enttarnung ihrer zivilisa-tionsbedingten Genesis als eine ontologische Unterstellung entzaubert hatten, verlor sich mit dem geschichtlichen Ferment die apriorische Würde auch jeglicher temporaler und mentaler Strukturen. Namentlich Nietzsches Anatomie der kulturalen Instanz als der Trägerin und Garantin mnemonischer Rituale versuchte deren Mnemotechnik auf eine Enkaustik hin transparent werden zu lassen, die "im Schmerz das mächtigste Hilfsmittel (...) erriet". "Niemals" nämlich ging es "ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen"(103); verschworen dem "Gefühl der Schuld"(104) und dessen Herkunft aus dem "Vertragsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner" analog der "Äquivalenz von Schaden und Schmerz"(105). Dringt diese terroristische Spur als sublimierter Moral- und Hierarchiekodex noch in die musikalische Ökonomie als "Abhandlung von Prioritätsverhältnissen in der Zeit"(106) ein, dann können Cages oder Feldmans Kompositionen als die bisher radikalste Aufhebung der seit der "Seconda pratica" gefeierten Mnemonik und ihrer Affekt- und Wertungsprinzipien gelten. Treibt der zur Kontrollinstanz des Gewissens verinnerlichte göttliche Blick über den ästhetischen Schöpfungstopos der Frührenaissance zum Nominalismus einer Moderne, in der jedes Werk als seine eigene Gattung von den Argusaugen und Argusohren des Künstlers vollkommene Durchbildung zum stimmigen Integral verlangt, dann subvertiert und transformiert Cage diesen Imperativ als die Tyrannei einer Musik, die das subjektfixierte Hörideal durch die Abweichungen hindurch in der kompositorischen Schuld einer auf Identität, auf Beherrschbarkeit vereidigten Motiv- und Themenarbeit und der sie affirmierenden Formanten halte. Gegen die verdinglichte Reproduktion des Wiederholbaren und die geronnene Schrift der Notation proben Cages Improvisations- und Zufallstableaus unter einem Minimum an Direktiven die Einlösung des emphatisch Neuen(107). Gilt der Negativen Dialektik der Vereinnahmungs- und Ausgrenzungsfuror wie die Subsumtionsmanie des Systems als der "Geist gewordene Bauch", "Wut" als die "Signatur eines jeglichen Idealismus"(108), so bleibt der Synthesisgedanke und seine Geschlossenheitsintention in Adornos Hermeneutik der Form ebenfalls ein wenn auch transitorisches Moment für den Index des Repressiven. Trotz der Bedeutung des konstruktiven Integrals als der Artikulation des Beredten bewahrt Adorno, was Nietzsches genealogischer Blick für die reproduktiver Not entstammenden Zurichtungs- und Bändigungsmuster des Logos noch unter dessen ästhetischer Maske aufgespürt hatte: die Sensibilität für die Formung als Vivisektion, deren Praktiken eine Gewalt des Ausschlusses in Szene setzen. Das "schuldhaft Herrschende" in den Artefakten, die Amoralität, mit der "Kunst in die Schuld des Lebendigen [gerät]", indem sie "Schnitte durchs Lebendige" legt, getrieben zu "verstümmeln"(109), um zu artikulieren, bleibt nach Maßgabe der Dialektik der Aufklärung der Kontrapunkt zur suspensiven Kraft künstlerischer Mimesis. Die Herrschaft des Einen als der Triumph über das entmächtigte Viele, zu dem sich der monotheistische Konstruktionsbegriff abendländischer Rationalität zuspitzt, die Einsicht zumal in die Unmöglichkeit einer "bruchlosen und gewaltlosen Einheit der Form und des Geformten"(110), schärft sich bei Adorno zu deren "Melancholie"(111). Unter Verabsolutierung des Prokrusteshaften(112) ästhetischer Organisation gegen ihr Herrschaft sistierendes Potential kann Cage schließlich von Frankreich her als der "erste große Musiker des Vergessens"(113) gefeiert werden, in Wechselwirkung mit einer Rezeption, der es laut Charles anstünde, sich zu "entmemorisieren". "Bis jetzt war der Musik, unter anderem, aufgegeben, das Gedächtnis zu üben. Man forderte dem Zuhörer immer akrobatischere Gedächtnisübungen ab (...). Cage nun entdeckt den musikalischen Augenblick wieder als etwas freudiges und nomadisierendes"(114). Richtet sich indes Adornos Kritik des Vergessens, vornehmlich über den ethischen Grund seiner Ästhetik, gegen die barbarische, weil irrationale Rückkehr des als Trauma der Geschichte Verdrängten, dann nicht zuletzt infolge einer zur Geschichtslosigkeit tendierenden Vernunft der Effizienz, die im Funktionalismus sozialer Amnesie "zunehmend die Kraft zur Mnemosyne ein[büßt]". "Ahistorizität des Bewußtseins" aber ist mit bürgerlicher Ratio notwendig verknüpft, mit der des "universalen Tauschs, des Gleich und Gleich von Rechnungen, die aufgehen, bei denen eigentlich nichts zurückbleibt; alles Historische aber wäre ein Rest". Am Ende wird "Erinnerung, Zeit, Gedächtnis von der fortschreitenden bürgerlichen Gesellschaft als irrationale Hypothek liquidiert (...). Entäußert in der gegenwärtigen Phase die Menschheit sich der Erinnerung, um kurzatmig in der Anpassung ans je Gegenwärtige sich zu erschöpfen, so spiegelt darin sich ein objektiver Entwicklungszug. Wie Statik gesellschaftliche Bedingung des Dynamischen ist, so terminiert die Dynamik fortschreitender rationaler Naturbeherrschung teleologisch in Statik(115). Deshalb reklamiert Adorno den Anspruch des Eingedenkens wider das verordnete Vergessen für die Kunst als "Zuflucht des mimetischen Verhaltens"(116). Sie wird zum "Gedächtnis des akkumulierten Leidens"(117), dem die moderne Musik in der Tradition einer somatisch gewendeten Ästhetik des Erhabenen folgt: als eine Kunst des Standhaltens gegen den Verblendungszusammenhang einer perennierenden "Vorgeschichte" des Zwangs, deren mythischer Grund sich zur Naturgewalt einer Ökonomie des Todes verrätselt. "Die Kunstwerke versuchen sich an den Rätseln, welche die Welt aufgibt, um die Menschen zu verschlingen. Die Welt ist die Sphinx, der Künstler ihr verblendeter Ödipus und die Kunstwerke von der Art seiner weisen Antwort, welche die Sphinx in den Abgrund stürzt. So steht alle Kunst gegen die Mythologie."(118) Demnach dürfte Entscheidendes für die kompositorische Praxis wie die musikästhetische Theorie nach Adorno davon abhängen, ob Musik den ethischen Gestus im Bewußtsein unerlöster Geschichte und damit von Wahrheit/119) transformieren kann, ohne ihn abstrakt durch die Restauration neuer Subjekt-Szenarien oder die vermeintliche Progressivität einer sterilen ars mechanica zu negieren. Letztlich also davon, ob eine Spaltung der Trinität des Schönen, Wahren, Guten, zumal der Legierung des Ethischen und Ästhetischen, im Sinne Kants gegen den holistischen Wahrheitsrapport Hegels ohne Regression möglich ist. Zielt Lyotard auf eine Musik jenseits der Alternative von Logosaskese und Trieblust, auf eine Musik, die "weder Schein, musica ficta , noch mühselige Erkenntnis, musica fingens [ist], sondern: wandelbares Spiel von Klangintensitäten, parodistische Arbeit von Nichts, musica figura "(120), dann bleibt zu fragen, wie weit eine solche prima vista paradoxe Auferstehung Kants im Geiste Nietzsches trägt; eine Forderung also, die unbekümmert um die ethische Konnotation des Ästhetischen triebenergetische Musikkonzepte des 'interesselosen Wohlgefallens' lanciert(121). Muß aber eine Musik, die den Subjektgedanken der großen bürgerlichen Kompositionsrhetorik hinter sich gelassen hat, notwendig zur Gewalt des Bestehenden überlaufen? Womöglich zu einem neuen Historismus verkommen, dem im Gleichschritt mit der Akkumulationsrasanz einer verwertungsbesessenen Ökonomie alles im Supermarkt der Musikgeschichte als neue Beliebigkeit verfügbar wird?(122) Abgesehen davon, daß auch bei Cage das kompositorische Subjekt trotz äußersten Rückzugs immer noch als letztes Inszenierungsmoment der Objektivation fungiert, kann die Antwort darauf nur die Musik selbst geben. Obwohl Adorno nie die Idee preisgab, Kunstwerke, explizit die der Moderne, stünden "gespannt gegen das Entsetzen der Geschichte", entsprechend deute auch die moderne Musik auf das "gesellschaftliche Unwesen"(123), spricht er bereits zu Beginn der vierziger Jahre davon, daß neue Musik "keine Ideologie mehr" sei. Richtet sich hier der Gedanke, das Ästhetische der Werke müsse "nicht in der Lösung seiner Fragen und nicht einmal notwendig in der Wahl der Fragen selber (...) auf die Gesellschaft"(12$) reflektieren, in erster Linie gegen herkömmliche Realismusnormen, so entwirft rund zwanzig Jahre später der programmatische Essay Vers une musique informelle unter Variation Valérys die "Gestalt aller künstlerischen Utopie heute" unmißverständlich als den Versuch, "Dinge [zu] machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind"(125). Damit wird eine Imagination innerviert, die das Pathos der Distanz zeitgenössischer Musik zu einer gleich produktiven wie luxurierenden Phantasie des Ästhetischen gegen den Konkretismus der Warenwelt und fern jedem Dingkult entbinden möchte: jenseits der Scheidung von engagierter und autonomer Kunst und mit einer transsubjektiven Verwandlung des Subjekt-Ethos(126). So wie dies in den präzis komponierten, funktional entregelten und zu einer neuen Ordnung jenseits der Ordnung verzauberten Konfigurationen Morton Feldmans Ereignis wird: gegen die Hierarchien der Zeit und der Klänge, gegen die Form-Imperative und die Subjektdramaturgie einer gerade auch von der außereuropäischen Tradition her maßlos-dominanten Rhetorik des okzidentalen Ich samt der Theatralik seiner Ausdrucksmasken(127). Während sich das meiste sogenannter Gegenwartsliteratur unter Ausbeutung der verbalen Bedeutungsebene in einem vom Kommerz gegängelten obszönen Sinn-Geschwätz des Erzählens verliert, vermag radikale moderne Musik als "Widerpart der Wortsprache" eben auch als "sinnlose zu reden"(128). Deshalb ist "unter den Motiven eines vielleicht Kommenden, die heute an der Musik sich gewahren lassen, (...) nicht das letzte das ihrer Emanzipation von der Sprache, die Wiederherstellung gleichsam ihres lautlichen, intentionslosen Wesens - eben dessen, was der Begriff des Namens, wie sehr auch unzulänglich, umreißen wollte; die Überwindung musikalischer Naturbeherrschung durch deren Vollendung hindurch"(129). Anmerkungen ​ 1 Unter Aufnahme antiker, neuplatonischer und mystischer Traditionen findet sich dieser Gedanke im Werk des Cusaners vor allem in der Formulierungsbreite der "Omnia in omnibus"- und "Totum in partibus"-Topoi (De docta ignorantia ; De filiatione Dei ; De ludo globi ; De non-aliud ). Gleichwohl Cusanus Gott als das kategorial nicht faßbare absolutum ineffabile zum unaufhebbaren Relat der Schöpfungsidee der explicatio Dei sowie des "Deus (...) totus in omnibus" (Apologia doctae ignorantiae ) erklärt, markiert die pantheistische Spur des "Deus est absque diversitate in omnibus, quia quodlibet in quolibet" (De docta ignorantia ) zusammen mit einer zur "infinitas finita" entgrenzten Welt die neuzeitliche Umkehr im Ortungs- und Wertungsverhältnis von Transzendenz und Immanenz. Als Folge dieses antischolastischen De- und Rezentrierungsprozesses transformiert sich die republikanische Tendenz des räumlich und zeitlich akzentuierten "omnia ubique" und "omnia simul" zur kritischen wie affirmativen Repräsentanzfigur bürgerlicher Systemrealität. Begleitet wird diese Lesart von zahlreichen Diskursen zur Position des Zentrums: als dessen immanente Allgegenwart, als parataktische Konfigura-tionsmitte oder als äquidistanter Attraktor in der Vermittlungsdichte des "Gleich nah zum Mittelpunkt". Trotz aller Differenzen der Figurenvielfalt bleibt die säkularisierte Zentrumsproblematik des ens a se ohne interpretatorische Klitterung oder Retheologisierung als ein Schwerpunkt der philosophischen und künstlerischen Reflexion im Zug der kopernikanischen Wende erkennbar: vom "centrum spatii immensi statuetur ubique" und "tutta in tutto" Giordano Brunos, von der Leibnizschen Monadologie ("toute Monade un miroir de l'univers"), der Mediationspräsenz der Arbeit des Begriffs bei Hegel und seiner Deutung des Kunstschönen im Sinnbild des "tausendäugigen Argus" einer "durchgängigen Beseelung (...) an allen Punkten" über das "große Zugleich" in Novalis' Naturphilosophie, den "Mitte"-Gedanken in Nietzsches Zarathustra , das Blickmotiv von Rilkes "Archaischem Torso Apollos" oder die Suspension des "alles ist überall" der Abelonenepisode des Malte Laurids Brigge bis zu den jetztbestimmten Intensitätsmodellen Adornos und Stockhausens. Mit dem Unterschied allerdings, daß die Thematik des "omnia ubique" bei Adorno ihrer monadischen Selbstgenügsamkeit enthoben ist und zu einem Atopos des Bilderlosen tendiert, der angesichts einer gegen ihr Emanzipationspotential verhärteten, profithörigen Ökonomie im Zeichen des Mangels und der Krisen und ihrer bürokratischen Stabilisierung ästhetisch wie soziologisch seiner positivistischen Immanenz wie seiner utopischen Transzendenz nach gedacht wird: als sinnleere Statik einer Kunst des "Gleich nah zum Mittelpunkt" und als deren vom Aufschub der Vermittlung und des Akzidentellen befreite Intensität ebenso wie als Sog der "totalen Gesellschaft" und als deren virtuell in der Omnipräsenz der Widersprüche liegende, den durchkapitalisierten Funktionalismus desintegrierende Transformationsenergie. 2 Nikolaus von Kues, De docta ignorantia , in: Nikolaus von Kues, Philosophisch-theologische Schriften , Hg. Leo Gabriel, Bd. I, Wien 1982, S. 393. 3 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft , Hg. Raymund Schmidt, Hamburg 1956, S. 140. 4 Ebd., S. 145. 5 Theodor W. Adorno, Vers une musique informelle , in: Quasi una fantasia , GS 16, S. 502. 6 Ebd., S. 502f. 7 Adorno, Schwierigkeiten , in: Impromptus , GS 17, S. 262f. 8 Vgl. dazu Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 409. 9 Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik , in: Theorie der neuen Musik , GS 18, S. 160. 10 Ebd., S.161. 11 Ebd. 12 Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik , GS 18, S. 162. 13 Adorno, Das Altern der Neuen Musik , in: Dissonanzen , GS 14, S. 159. Umgekehrt korreliert der Kritik am ontologischen Rückfall die am Effekt als der Verselbständigung der Mittel und technischen Details gegenüber der musikalischen Logik, eine Kritik, die Adornos Wagner- und Strauss-Rezeption mit seiner Analyse kulturindustrieller Produktionen als kleinster gemeinsamer Nenner verbindet (vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung , GS 3, S. 146f.). 14 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 124. 15 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik II , Werke in zwanzig Bänden, Hrsg. Eva Moldenhauer, Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1969, Bd. 6, S. 124. 16 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 210. 17 Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 417f. 18 Ebd. 19 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 123. 20 Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 413. 21 Adorno hat diese Relation etwa an Kant unter dem Aspekt skizziert, "daß durch den ansteigenden Prozeß der Verlegung der Erkenntnissubstanz aus dem Gegenstand in das auf sich selbst reflektierende Subjekt gleichsam dem Objekt immer mehr entzogen wird, daß es immer mehr als ein Starres, Verhärtetes zurückbleibt" (Adorno, Vorlesung zur Einleitung in die Erkenntnistheorie , Frankfurt/M. o. J., S. 218). Zur Partizipation des "subjektiven Vermitteltseins" der Kunstwerke am "universalen Verblendungszusammenhang von Verdinglichung" vgl. Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 252. 22 Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild , in: Quasi una fantasia , GS 16, S. 398. 23 Vgl. etwa Adorno, Drei Studien zu Hegel , GS 5, S. 366; Ästhetische Theorie , GS 7, S. 363; Mahler. Eine musikalische Physiognomik , GS 13, S. 241f.; Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 412f.; Der getreue Korrepetitor , GS 15, S. 198f.; Kriterien der neuen Musik , in: Klangfiguren , GS 16, S. 189; Fragment über Musik und Sprache , in: Quasi una fantasia , GS 16, S. 253; Form in der neuen Musik , in: Musikalische Schriften III , GS 16, S. 612f. 24 Vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht , Werke in zwölf Bänden, Hg. Wilhelm Weischedel, Frankfurt/M. 1968, Bd. XII, S. 433, sowie Johannes Bauer, Souverän und Untertan. Kants Ethik und einige Folgen , in: Spuren. Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft, Nr. 34/35 (1990), S. 47ff. 25 Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 417. 26 Ebd., S. 412. 27 Adorno, Mahler , GS 13, S. 241. 28 Adorno, Form in der neuen Musik , GS 16, S. 612. 29 Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 412. 30 Adorno, Mahler , GS 13, S. 241. 31 Vgl. Adorno, GS 6, S. 184-207; GS 7, S. 217, 248-253, 382-384; GS 10.2, S. 741ff. 32 Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1884-1885 , Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Hrsg. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München/Berlin/New York 1980, Bd. 11, S. 565, 635, 638. 33 Hegel, Phänomenologie des Geistes , WW Bd. 3, S. 492. 34 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 35. 35 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes , S. 590f. 36 Adorno, Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins , in: Noten zur Literatur , GS 11, S. 486. 37 Ebd., S. 471. 38 Adorno, Negative Dialektik , GS 6, S. 139. 39 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 489f. 40 Johann Wolfgang Goethe, Faust II , Goethes Werke in 14 Bänden, Hg. Erich Trunz, München 1976, Bd. III, S. 193. 41 Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild , GS 16, S. 403. 42 Ebd., S. 385. 43 Ebd., S. 386. 44 Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie , GS 14, S. 418. 45 Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild , GS 16, S. 387. 46 Ebd. 47 Ebd., S. 387f. 48 Ebd., S. 388. Daß Adorno den Anspruch qualitativ artikulierter Zeit auch für die Avantgarde nach 1945 beibehält, belegt sein Aufsatz Vers une musique informelle , GS 16, S. 518: "Das zeitlich Aufeinanderfolgende, das die Sukzessivität verleugnet, sabotiert die Verpflichtung des Werdens, motiviert nicht länger, warum dies auf jenes folge und nicht beliebig anderes. Nichts Musikalisches aber hat das Recht auf ein anderes zu folgen, was nicht durch die Gestalt des Vorhergehenden als auf dieses Folgendes bestimmt wäre, oder umgekehrt, was nicht das Vorhergehende als seine eigene Bedingung nachträglich enthüllte. Sonst klaffte die zeitliche Konkretion von Musik und ihre abstrakte Zeitform auseinander." 49 Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild , GS 16, S. 388. 50 Adorno, Vers une musique informelle , GS 16, S. 526f. 51 Zum Problem "präskriptiver Kategorien" in Adornos Versuch über Wagner sowie der Philosophie der neuen Musik vgl. Martin Zenck, Phantasmagorie - Ausdruck - Extrem. Die Auseinandersetzung zwischen Adornos Musikdenken und Benjamins Kunsttheorie in den dreißiger Jahren , in: Adorno und die Musik. Studien zur Wertungsforschung , Bd. XII, Hg. Otto Kolleritsch, Graz 1979, S. 202ff. 52 Adorno, Strawinsky. Ein dialektisches Bild , GS 16, S. 387f. 53 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 162. 54 Ebd., S. 161f. Deshalb nähern sich zahlreiche Problematisierungen von Adornos Materialverständnis, die seine Theorie des Ausdrucks und deren begrifflich irreduzibles Leidmoment unberücksichtigt lassen, häufig einer einseitigen Debatte um Adornos angeblich aporetisches Fortschrittsmodell der ästhetischen Produktivkräfte (vgl. etwa Peter Bürger, Vermittlung - Rezeption - Funktion. Ästhetische Theorie und Methodologie der Literaturwissenschaft , Frankfurt/M. 1979, S. 87ff., oder Christoph Menke, Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida , Frankfurt/M. 1991, S. 159ff.). 55 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 163. 56 Ebd., S. 145. 57 Ebd., S. 153 u. 179. 58 Ebd., S. 125f. 59 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 65. 60 Bezeichnenderweise zitiert die Philosophie der neuen Musik folgenden zentralen Satz der Hegelschen Ästhetik als Motto: "Denn in der Kunst haben wir es mit keinem bloß angenehmen oder nützlichen Spielwerk, sondern (...) mit einer Entfaltung der Wahrheit zu thun." 61 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I , WW Bd. 13, S. 199. 62 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 118f. 63 Ebd., S. 118. 64 Vgl. dazu exemplarisch Kants Typologie des "Organismus", demonstriert an einem solchen "Produkt der Natur" und seinem "organisierten und sich selbst organisierenden Wesen", "in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist", erweitert schließlich zur "Analogie" zwischen den "Naturzwecken" und der "Organisation" des "Staatskörpers". "Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck, und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum, seiner Stelle und seiner Funktion nach, bestimmt sein" (Kant, Kritik der Urteilskraft , WW Bd. X, S. 322f.). 65 Aristoteles, Poetik , Hrsg. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 29: "Ferner müssen die Teile der Geschehnisse so zusammengefügt sein, daß sich das Ganze verändert und durcheinander gerät, wenn irgendein Teil umgestellt oder weggenommen wird. Denn was ohne sichtbare Folgen vorhanden sein oder fehlen kann, ist gar nicht ein Teil des Ganzen." 66 Vgl. dazu Johannes Bauer, Rhetorik der Überschreitung. Annotationen zu Beethovens Neunter Symphonie , Pfaffenweiler 1992, S. 119ff. 67 Exemplarisch dafür sind Kleists Briefe aus dem Jahr 1801 an Wilhelmine von Zenge mit ihren ostinaten Äußerungen über das "blinde Verhängnis", den "Zufall", den 'unbegreiflichen Willen', der "über die Menschengattung waltet", und mit ihrer Verzweiflung über die Aporie der Moral inmitten der 'tausendfältig verknüpften und verschlungenen Dinge der Welt' (Heinrich von Kleist, Briefe , München 1964, S. 170, 207, 209). 68 Stéphane Mallarmé, Un coup de dés, Préface , in: Mallarmé, Sämtliche Dichtungen , München 1992, S. 222. 69 Mallarmé, Verskrise , in: Mallarmé, Sämtliche Dichtungen , S. 285. 70 Ebd. 71 Auch das nachgelassene Beethoven-Fragment Adornos (Beethoven. Philosophie der Musik , Hg. Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. 1993) zeigt deutliche Spuren dieses Totalitätsverdikts im Sinn einer "Kritik des heroischen Klassizismus". Damit soll jedoch in keiner Weise die leitmotivische Bedeutung Beethovens in Adornos Musikästhetik relativiert werden, eine Bedeutung, auf die hinsichtlich der Philosophie der neuen Musik Carl Dahlhaus aufmerksam gemacht hat (Dahlhaus, Zu Adornos Beethoven-Kritik , in: Materialien zur ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. Konstruktion der Moderne, Hrsg. Burkhardt Lindner und W. Martin Lüdke, Frankfurt/M. 1979, S. 504). 72 Vgl. Adorno, Musikalische Schriften I-III , GS 16, S. 589, 623, 662f., wo das Motiv des "Alles gleich nah zum Mittelpunkt" ausdrücklich mit dem der "Präsenz in jedem Augenblick" und dem der "Intensität" verbunden wird, schließlich mit dem Begriff einer Musik, "in der die Gegenwärtigkeit eines jeden Augenblicks (...) die Gestaltung nach Erwartung und Erinnerung überwiegt". 73 Adorno, Minima Moralia , GS 4, S. 78. Anläßlich der Disposition der Ästhetischen Theorie besteht Adorno gegen die Gradation induktiver und deduktiver Verfahren und deren argumentativen Aufschub auf der parataktischen Fügung von "gleichgewichtig[en] Teilkomplexen", die "konzentrisch angeordnet" in ihrer "Konstellation", nicht in ihrer "Folge" die Idee ergeben, gruppiert "um einen Mittelpunkt", "den sie durch ihre Konstellation ausdrücken" (zit. n. d. Editorischen Nachwort zu Adornos Ästhetischer Theorie , GS 7, S. 541). Generell kann vom Ende der Metaphysik her das Modell der Konfiguration als der diskursiv entfaltete Fragmentcharakter verstanden werden, nachdem die schwindende Kohäsionskraft des göttlichen Signifikanten Schrift wie Sprache in ein seinen Partikularurteilen nach infinites Schreiben und Sprechen mit der Physiognomie des Bruchstückhaften entlassen hatte. So zeigt sich schon bei Nikolaus von Kues die Dialektik der Zentrierung und Dezentrierung, sofern die monadische Allgegenwart des Mittelpunkts im "omnia ubique" zugleich den Gedanken eines Mittelpunkts sensu stricto ad absurdum führt. "Neque etiam est ipsum mundi centrum plus intra terram quam extra, neque etiam terra ista neque aliqua sphaera habet centrum." (Nikolaus von Kues, De docta ignorantia , S. 392f.). Das Paradox der Moderne, mit der Sprache gegen die Sprache zu sprechen, "mit Begriffen auf[zu]sprengen, was in Begriffe nicht eingeht" (Adorno, Noten zur Literatur , GS 11, S. 32), mit der Musik gegen die Musik zu komponieren, schließlich: in der Gesellschaft gegen die Gesellschaft zu existieren, ist nur ein anderer Ausdruck für den circulus vitiosus der Immanenz, in dem Fragmentcharakter und geschlossenes System miteinander korrelieren. Übrigens verstehen sich auch Stockhausens "Momentformen" als solche, die "immer schon angefangen haben und unbegrenzt so weitergehn könnten" (Karlheinz Stockhausen, Momentform. Neue Zusammenhänge zwischen Aufführungsdauer, Werkdauer und Moment , in: Stockhausen, Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik , Köln 1963, Bd. I, S. 199). 74 Hegel, Wissenschaft der Logik I , WW Bd. 5, S. 66. 75 Adorno, Minima Moralia , GS 4, S. 78. 76 Vgl. dazu auch Adorno, Einleitung zu Benjamins Schriften , in: Noten zur Literatur , GS 11, S. 578: "Denn die Benjaminsche Idee in ihrer Strenge schließt wie Grundmotive so auch deren Entwicklung, Durchführung, den ganzen Mechanismus von Voraussetzung, Behauptung und Beweis, von Thesen und Resultaten aus. So wie die Neue Musik in ihren kompromißlosen Vertretern keine 'Durchführung', keinen Unterschied von Thema und Entwicklung mehr duldet, sondern jeder musikalische Gedanke, ja jeder Ton darin gleich nahe zum Mittelpunkt steht, so ist auch Benjamins Philosophie 'athematisch'. Dialektik im Stillstand bedeutet sie auch insofern, als sie in sich eigentlich keine Entwicklungszeit kennt, sondern ihre Form aus der Konstellation der einzelnen Aussagen empfängt. Daher ihre Affinität zum Aphorismus." Entsprechend sind auch dem Essay "alle Objekte gleich nah zum Zentrum (...): zu dem Prinzip, das alle verhext" (Adorno, Der Essay als Form , GS 11, S. 28). 77 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 228. 78 Stockhausen, Momentform , S. 198f. Das Motiv einer in jedem Zeitpunkt präsenten Ewigkeit findet sich gleichfalls als eine Lesart des "omnia ubique" im Trialogus de possest des Nikolaus von Kues (Philosophisch-theologische Schriften Bd. II, S. 292f.), als der Gedanke nämlich, "quomodo (...) non repugnare aeternitatem simul totam esse in quolibet puncto temporis". 79 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 61. Im Fall der Zwölftonmusik und ihres Anspruchs, "in all ihren Momenten gleich nah zum Mittelpunkt zu sein" (ebd., S. 73), entäußert sich die Zwitterhaftigkeit von harmonischer Deterritorialisierung und traditionellem Formkanon zur spannungsvollen Diskrepanz zwischen dem hermetischen Integral des Reihenmodells und der Extensität kompositorischer Entwicklung. Die dadurch trotz der Systemstatik der Zwölftontechnik freigesetzte Dynamik des Bruchs aber desavouiert nach Adorno als eine der "Not der Fortsetzung" (ebd.) und "bloßen Ableitung" die Intention, "wahrhaft in jedem Augenblick gleich nah zum Mittelpunkt sich zu halten", und läßt sie als "Möglichkeit der formalen Artikulation erscheinen". "Das Abfallen aller Zwölftonmusik nach prägnanten Reihenexpositionen spaltet sie in Haupt- und Nebenereignisse", ähnlich dem Verhältnis von Thema und Durchführungsarbeit (ebd., S. 98). Das bedingt letztlich den Konflikt zwischen der formenden Geste des Komponisten, ihren im Werk objektivierten Ausdrucksfacetten, und dem "absichtsvoll-generellen, fast gleichgültigen Zuschnitt der früheren Zwölftonthematik" (ebd.) als eine unversöhnliche Kluft zwischen System und Imagination. 80 Adorno, Negative Dialektik , GS 6, S. 73. 81 Ebd., S. 265. 82 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 67. 83 Ebd. 84 Adorno, Vers une musique informelle , GS 16, S. 527. 85 Ebd. 86 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 70. 87 Ebd., S. 68. 88 Adorno, Vers une musique informelle , GS 16, S. 527. 89 Adorno, Das Altern der Neuen Musik , GS 14, S. 165. 90 Adorno, Schwierigkeiten , GS 17, 270f. 91 So kann Dahlhaus gar von der Philosophie der neuen Musik als von einem Exkurs zur Dialektik der Aufklärung sprechen (Carl Dahlhaus, Vom Altern einer Philosophie , in: Adorno-Konferenz I983 , Hrsg. Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas, Frankfurt/M. 1983, S. 137). 92 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung , GS 3, S. 34. 93 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 489. 94 Ebd., S. 228. 95 Adorno, Das Altern der Neuen Musik , GS 14, S. 159f. 96 Ebd., S. 161 97 Ebd., S. 161f. 98 "György Ligeti hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß im Effekt die Extreme der absoluten Determination und des absoluten Zufalls zusammenfallen" (Adorno, Schwierigkeiten , GS 17, S. 270f.). 99 Adorno, Philosophie der neuen Musi k, GS 12, S. 77. 100 "Absolute, in sich unterschiedslose Dynamik würde abermals zu einem Statischen" (Adorno, Vers une musique informelle , GS 16, S. 518). 101 Adorno, Über Statik und Dynamik als soziologische Kategorien , in: Soziologische Schriften I , GS 8, S. 235. 102 Vgl. Michel Foucault, Schriften zur Literatur , Frankfurt/M., Berlin, Wien 1979, S. 121, sowie insbesondere auch das letzte Kapitel der Ordnung der Din​ge . Daß die "Kategorie des Subjekts" als "Kern einer Interpretation der Gesellschaft der Entfremdung" mit der 'Zeugenschaft' der Kunst, schließlich als Zentrum der "gesamten Theorie des Ausdrucks" für Adorno "unkritisiert" bleibe, stabilisiere in dessen Denken Lyotard zufolge die dialektische Falle (Jean-François Lyotard, Adorno come Diavolo , in: Lyotard, Intensitäten , Berlin o. J., S. 36.). Dagegen würde erst die Aufgabe des überlieferten Repräsentationsmodells und der Subjekttheorie zur Verabschiedung des ethischen Instrumentariums und seiner Antagonismen führen. "Wir haben gegenüber Adorno den Vorteil, in einem Kapitalismus zu leben, der energischer, zynischer, doch weniger tragisch ist. Er macht alles zur Repräsentation (...). Die Parodie tritt an die Stelle des Tragischen, die Libido zieht ihre Besetzungen von der Bühne zurück" (ebd., S. 36f.). 103 Nietzsche, Zur Genealogie der Mora l, Kritische Studienausgabe Bd. V, S. 295. 104 Ebd., S. 318. 105 Ebd., S. 298. 106 Heinz-Klaus Metzger, John Cage oder die freigelassene Musik , in: Musik-Konzepte, Sonderband John Cage , München 1978, S. 8. Metzger argumentiert in seinem Aufsatz unter anderem mit Adornos Minima Moralia -Aphorismus "Moral und Zeitordnung". 107 Zum letalen Index von Schrift und Zeichen im Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung und Vergessen vgl. Platon, Phaidros , Sämtliche Werke in zehn Bänden, Hg. Karlheinz Hülser, Bd. VI, Frankfurt/M. 1991, S. 135ff., sowie Jacques Derrida, Grammatologie , Frankfurt/M. 1974, S. 120ff. 108 Adorno, Negative Dialektik , GS 6, S. 34. 109 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 217. 110 Ebd., S. 219. 111 Ebd., S. 217. 112 Vgl. ebd. 113 Daniel Charles, John Cage oder Die Musik ist los , Berlin 1979, S. 43. 114 Ebd., S. 43f. 115 Adorno, Über Statik und Dynamik als soziologische Kategorien , GS 8, S. 230f. An Kafka wird evident, etwa in der Erzählung vom "Urteil", wie eine patriarchale Schuld-Mnemonik das Gedächtnis des Sohnes zersetzt und damit verhindert, ihrem Bann zu entrinnen: mehrmals und mit tragischer Konsequenz fällt das entscheidende Wort vom "Vergessen". Steht dieses Motiv in der literarischen Tradition des Vater-Sohn-Konflikts, so tritt auch reflexionsgeschichtlich - nun im Zeichen einer Überwindung - der Zerfall der Hegelschen Weltexegese als der Summe eines hermeneutischen Übervaters in eine mnemonische Spannung zum genealogisch-kritischen Denken des 19. Jahrhunderts: zur Erinnerungsarbeit gleichsam einer Philosophie der Söhne gegen die amnestischen Leerstellen im System des absoluten Geistes; in Feuerbachs Religionskritik ebenso wie in Marx' Ökonomie- oder Nietzsches Erkenntnis- und Moralkritik. 116 Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 86. 117 Ebd., S. 387. 118 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 125f. 119 Vgl. Adorno, Negative Dialektik , GS 6, S. 29: "Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit." 120 Lyotard, Intensitäten , S. 46f. 121 Dahingestellt sei, inwieweit sich nicht doch das Ethos einer ihren Exegeten nach repräsentanzlosen Musik durchsetzt, so daß etwa das Klavierkonzert von Cage, das "als Gesetz unerbittliche Zufälligkeit sich auferleg[t]", "dadurch etwas wie Sinn: den Ausdruck von Entsetzen" empfängt (Adorno, Ästhetische Theorie , GS 7, S. 231). Da somit der demolierte Sinn nicht zwangsläufig in Positivismus umschlägt, kann dieses Zitat als ein Beispiel der Ambivalenz Adornos Cage gegenüber gelten. Daß aber obige Stelle den Eindruck erweckt, "als habe Adorno die wahren Dimensionen der Cageschen Anarchie nicht erkannt" (Hans-Klaus Jungheinrich, Die "Ästhetische Theorie" - wiedergelesen , in: Nicht versöhnt. Musikästhetik nach Adorno , Hg. H.-K. Jungheinrich, Kassel 1987, S. 51), kann in dieser Ausschließlichkeit nur behauptet werden, wenn die Dialektik zwischen der kompositorischen Intention und ihrer ästhetischen Objektivation außer acht bleibt. 122 Zur Kritik dieses neuen Pluralismus im Kontext "objektiver Amnesie" und einer "Barbarei des Vergessens" vgl. Martin Blumentritt, Adorno, der Komponist als Philosoph , in: Musik-Konzepte 63/64 (Theodor W. Adorno. Der Komponist ), München 1989, S. 8ff. 123 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S. 124f. 124 Ebd. 125 Adorno, Vers une musique informelle , GS 16, S. 540. Vgl. Paul Valéry, Windstriche , Frankfurt a. M. 1971, S. 94: "Das Schöne erfordert vielleicht die sklavische Nachahmung dessen, was in den Dingen unbestimmbar ist." 126 Diese Implikation dürfte im Fall Adornos relativieren, was Albrecht Wellmer (Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne. Vernunftkritik nach Adorno , Frankfurt/M. 1985, S. 63) als das "Auseinanderreißen von Semiotik und Energetik" einer "reinen Wahrheitsästhetik" bei Adorno und einer "rigorosen Wirkungsästhetik" bei Lyotard kritisiert, um statt dessen das "ästhetische Objekt" als ein "Kraft- und Spannungsfeld, aber auf der Ebene des Sinns" zu begreifen und als einen "Sinnzusammenhang, dessen verstehender Nachvollzug einer Abstrahlung von Energie gleichkommt: Kunst als zweite Natur, aber eine Natur, die zu sprechen beginnt". 127 Ob aber eine "informelle Musik" des radikalen "Odi profanum" gemäß Adornos Forderung, daß "innerhalb der totalen gesellschaftlichen Verblendung (...) nur das seinen richtigen gesellschaftlichen Ort [hat], was der Kommunikation aufsagt" (Adorno, Vers une musique informelle , GS 16, S. 538), den letzten Rest ihrer Anpassung und ihre Ohnmacht ertragen kann, bleibt offen. Womöglich bestätigt sie gerade im Betrieb des Komponierens, gleichsam hinter dem Rücken der Produzenten, Hegels These vom Vergangenheitsstatus der Kunst. Dies wäre dann der prozessual gesellschaftliche Kontrapunkt zu Bulthaups Urteil: "Der Versuch, Musik zu retten, unterwirft sie der Ideologie, der Affirmation des Bestehenden, sie preiszugeben verriete mit seiner Objektivation das Bedürfnis der Subjekte, das mit dem Bestehenden nicht sich zufrieden geben kann. So bleibt die Musik auf der Strecke." (Peter Bulthaup, Ernstfall und Allotria. Überlegungen zum Verhältnis von Reflexion und Kunst , in: Musik-Konzepte 63/64: Theodor W. Adorno. Der Komponist , S. 7). Ferner mag nicht verwundern, daß Morton Feldman, ohne auf Adornos Gedanken vom Barbarischen einer Lyrik nach Auschwitz zu rekurrieren, davon sprach, "daß es nach Hitler vielleicht keine Kunst mehr geben sollte. (...) Es war Heuchelei, ein Wahn weiterzumachen, denn jene (sc. ästhetischen) Werte haben sich als wertlos erwiesen. Es fehlt ihnen die moralische Basis. Und was sind unsere Moralbegriffe in der Musik? Sie sind begründet in der deutschen Musik des 19. Jahrhunderts" (Morton Feldman, Earle Brown, Heinz-Klaus Metzger, Aus einer Diskussion , in: Musik-Konzepte 48/49: Morton Feldman , München 1986, S. 154). Zu erinnern bleibt jedoch, daß Adorno immer wieder Vorstellungen und Tendenzen einer falschen "Abschaffung der Kunst" zurückgewiesen hat. 128 Adorno, Philosophie der neuen Musik , GS 12, S.121. 129 Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik , GS 18, S. 162. ​ ​

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