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AutorenbildJohannes Bauer

Die andere Sprache

Aktualisiert: 21. Okt. 2020


Stéphane Mallarmé, Un coup de dés jamais n’abolira le hasard
Stéphane Mallarmé, Un coup de dés jamais n’abolira le hasard

Vom Funkeln der Gärten und Schlösser bis zu den Lichtwundern der Traum- und Naturmirakel entfaltet Eichendorffs Imagination des Wunderbaren einen Zauber der Verwandlung, der das romantische Weltpanorama über den "praktischen Abgrund" frühindustrieller Nützlichkeit hinweg noch einmal aufleuchten lässt: im Schein einer letzten Illumination. Obwohl permanent beschworen, bricht sich diese Lichtmagie in der Zeitstruktur einer poetischen Sprache, die das "Plötzliche" der phantastischen Erscheinungen nur noch als flüchtiges Aufblitzen und Verdämmern fassen kann: als den ästhetischen Augenblick einer äußerst fragilen und artifiziellen Metaphorik des "Als ob". Zugleich durchmisst das ruhelose Ich die "wunderbar verschränkte Hieroglyphe" Natur im Vagantenturn des wandernden und irrenden Körpers, der verwirrt und trunken, marionettenhaft geziert, tanzend und fliegend, grimassierend oder in bizarren Kapriolen, vom Schwindel erfasst und erstarrt, erschauernd oder als Doppelgänger seiner selbst agiert. Deshalb auch wird in Eichendorffs raumzeitlichem Sensorium von Ferne, Ahnung und Sehnsucht das Verlangen des lyrischen Subjekts, von der Sprache der Natur gesprochen zu werden, immer wieder vom Kontrapunkt des "Seltsamen" und "Kuriosen" bis in die Gesten des Körpers hinein grundiert; deshalb auch lässt der Schleier der Fremdheit auch das Vertraute in die Dämonie einer sirenenhaften Natur umschlagen, die das zivilisationsfixierte Ich im Sog der Lockung aufzulösen droht und in geheimnisvollen Lichtchiffren widerstrahlt. Dass aber der ostinate Ton in Eichendorffs Poesie: das "Rauschen", als eine Sprache jenseits der Sprache und als eine der Bäche wie der Wasserkünste Natur und Kultur ebenso ineinander verrätselt wie der Kosmos der Himmelszeichen Wetterleuchten und Revolution, mag als Eichendorffs Versuch gelten, Licht- und Körperfigurationen als eine Meteorologie der Seele im Moment ihres Verlöschens zu lesen.


Im Topos der schwärmerischen Nacht, der „Fremdlingin“, wie sie bei Hölderlin heißt, wird die Nacht zur Souffleuse des gelösten Augenblicks und verwandelt noch bei Eichendorff das Freie ins Offene. Erst wenn der Lärm des Tages verrauscht ist, wird das Rauschen der Nacht als eine Atemsprache der Natur hörbar, die Aura ihrer Träume, ihrer Wunder und Geheimnisse und ihrer Leidenschaft, von der es in Goethes Wilhelm Meister heißt, „Jeder Tag hat seine Plage, / Und die Nacht hat ihre Lust.“ Stimmen werden laut, die sonst nicht zu hören sind oder leicht überhört werden. Wie in der nächtlichen Szene von Mozarts Figaro, in der sich der Riss zwischen Natur und Kultur für Augenblicke schließt. Es ist die nächtliche Zeit, die sich dem Zufälligen, Beiläufigen, Gestreuten, Nutzlosen, Unwägbaren weit mehr öffnet und sich einer Ankunft im Prinzipiellen weit mehr verweigert als die Ökonomie des Tags.



Kann Hegel das Allgemeine der Sprache noch gegen das Geschwätz der Meinung als Triumph des Geistes feiern, wird wenig später gerade das Dilemma, das Besondere nicht sagen zu können, zum ästhetischen Problem. Zudem treibt das Ökonomiediktat der alltäglichen Rede die poetische Opposition in eine Hermetik, die sich dem Kommerz der Sprache und seiner Zirkulation wohlfeiler Wortmünzen mit einer kompromisslosen Absage an den kommunikativen Gebrauchswert zu verweigern sucht. Dass sich zudem jedes Urteil entmächtigt, indem es seinen Wahrheitsanspruch aufgrund metaphysischer Leerstellen und eines enormen gesellschaftlichen Abstraktionspotentials oft nur noch zur schlechten Unendlichkeit von Einzelsätzen summieren kann, fördert die poetische Verzweiflung an der Sprache ebenso wie ihre ersehnte Transfiguration zu empirieferner Idealität.

Dieses Changieren zwischen Sturz und Höhenflug, zwischen Nichts und Absolutheit lässt sich in Hofmannsthals Chandos-Brief und seiner Dimension des Abgrunds ebenso erfahren wie im Topos der "Leere" mit seinen Varianten der "Lücke" und des "Weißen" in Mallarmés "poésie pure". Es geht hier um jene andere, reine Sprache, die aufgrund der Einsicht in das Fiktive und zugleich Freie ihres Rap­ports schon bei Hölderlin die Dignität des poetischen Ausdrucks jenseits der Syn­thesis des Urteils zu erreichen sucht - bis hin zur Konsequenz von Schweigen und Verstummen.



Dass Georg Büchner das hehre Trinitätsideal von Vernunft, Freiheit und Sittlichkeit der irdischen Condition humaine und deren abgründigen Sozialfacetten konfrontiert, wurde von der germanistischen Forschung hinlänglich betont. Die Sichtweise freilich, die die Depotenzierung von Autonomie und Perfektibilität etwa in Dantons Tod nur dem Fatalismus ausgesetzt sieht oder die ironisch ge­brochene Utopie in Leonce und Lena allein der Monotonie und dem Sinnlosen, vergisst zu leicht das diagnostische Potential in Büchners Pathographie als Kritik an der Unschärfe idealisti­scher Abstraktion. Zeigt doch beispielsweise in Büchners Woyzeck Kants moralischer Universalismus, der unbekümmert um Ständeprivilegien und Eigentums­verhältnisse jedes vernünftige Wesen gleich ausnahmslos unter Vertrag nimmt, in seiner bürgerlichen Abstraktion geradezu zynische Konturen. (Ein Zynismus, der auf Blatt 15 von Daumiers Les Gens de Justice exemplarisch vorgeführt wird.)



Indem Büchner die Prinzipien der klas­sischen Poetik, insbesondere Schillers Ethos des "großen Stils", durch Sequen­zen des Wahnsinns, des Anankasmus, der idée fixe, der Melancholie oder der Par­odie unterhöhlt und indem das weltimmanente Jetzt in Büchners szenischer Dramenparataxe die teleologische Fernwirkung des Fortschritts als eine Gattungseuphorie des Aufschubs suspekt werden lässt, rückt das Dasein des Einzelnen als klassenspezifisch gebrochene, psychosomatische Existenz in den Blick.


Heinrich von Kleist - Zeitstrukturen

Mit dem Schwinden teleologischer Sinngarantien schärft sich die Irreversibilität der Zeit biographisch zur diesseitsfixierten und jenseitsresistenten Frist zufälliger Lebensfragmente. Seitdem hat sich die poetische Sprache an der Erfahrung der Endlichkeit zu messen und die gottähnliche Regie, die einst den literarischen Text auf kohärente Lesbarkeit hin ausrichtete, der Sprache selbst zuzumuten. Deren Dilemma, nämlich sprechen zu müssen ohne sprechen zu dürfen wie die souveräne Instanz des auktorialen Autors, zeigt sich bereits an diversen Zeitmodellen in Kleist­s Dichtung: etwa an Zeitmodellen, die die Spannung zwischen empirischer und ästhetischer Zeit und ihre Entmischung im Problem des Anfangens und Schließens austragen.

Die dramaturgischen Motive dieser Zeitmodelle, etwa die der fixen Idee, der Manie und der Obsession, reihen sich einem Fundus ein, der den Entwurf der intelligiblen Autonomie verstört und mit ihr die Erweiterung des personalen "Homo noumenon" zur Kollektividee der Gattungsvernunft. Während sich Kants „Einheit der transzendentalen Apperzeption“ in der Koordinationsleistung des "Ich denke", das "alle meine Vorstellungen muss begleiten können" vor dem Reißen des Ge­dächtnisfadens und leerer, haltloser Gegenwart gesichert glaubt, zersetzt der Kantianer Kleist das Sinnmonopol der Identität, indem er es einer Wirklichkeit konfrontiert, deren Weltmisere umso drastischer in ebendieser Konfrontation aufscheint: Durch Zeitrisse des Zufalls, des Schocks, des Wunders oder des Einbruchs ungeheurer und unerwarteter Vorgänge im Namen einer Rhetorik des Plötzli­chen, deren anarchische Risse die Sinn- und Moralsedimente einer auf Vernunft und Freiheit zielenden Gravitation des Weltgeistes in Frage stellen.

Kleists Perforieren des Zeitkontinuuums und damit des Kontinuums der mnemonischen Synthesis formuliert Varianten der Subjektparalyse im Verwirrspiel der Täuschungen und Verwechslungen. Als subversive Gesten, die im Credo personaler Identi­tät immer auch ein Stück verhärteter Charaktermaske aufdecken, werden diese Ekstasen des Außer-sich-Seins, der tragischen Kulmination und des Zusammen­bruchs in das innerzeitliche Szenarium der Figuren eingezogen, um den Druck des Realen zu bezeugen und zu sprengen. So vor allem in den zwischen Wachen und Träumen changierenden somnambulen Sequenzen (bis hin zu solchen der Ohnmacht) als einer augenblickspräsenten Verschränkung vergangener, gegenwärtiger und künftiger Lebenslinien und Konfliktspuren im Binnenszenarium einer inneren Zeit, die - der realen Zeit verpflichtet - diese zugleich kontrapunktiert, um sie auszusetzen, anzuhalten, zu beschleunigen oder gegen ihre Irreversibi­lität Einspruch zu erheben. Kleist: Eine Verrätselung von Welt und Zeit, in der Wahrheit nicht selten zur Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen wird und dabei Zeit und Raum dezentriert und zur leeren Mitte hin öffnet; ein Symmetriebruch, wie er sich gleichzeitig in der Leere der "Desgracias Acaecidas en el Tendido de la Plaza de Madrid" von Goyas Tauromaquia (1816) findet.

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